© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31_32/15 / 24. Juli 2015

Den Veggie-Kult entzaubern
Ein Autorentrio rückt den „frommen Lügen“ veganer Ökomoralisten zu Leibe
Dieter Menke

Gustav von Struve, geboren 1805 in München, 1870 in Wien gestorben, war ein umtriebiger Mann, Diplomat, Advokat, Parlamentarier und Journalist. Aber in erster Linie verkörperte er einen Prototyp des 19. Jahrhunderts: den Weltverbesserer. Und zwar in einer Variante, die sich wie Karl Marx keineswegs damit begnügte, die Welt nur neu zu interpretieren. Als Mann der Tat wollte von Struve sie verändern, und daher schloß er sich im Frühjahr 1848 im Badischen Friedrich Heckers Schar an, um die erste radikaldemokratische deutsche Republik herbeizuputschen. Nach der Teilnahme an zwei weiteren erfolglosen Aufständen wählte der Revolutionär sein Exil in den USA, wo er auf seiten der Union für die „Sklavenbefreiung“ in den Südstaaten focht. 1863 dank einer Amnestie heimgekehrt, verfolgte von Struve seine Mission zwar fortan mit friedlichen Mitteln, aber mit demselben Ziel eines grundlegenden Umbaus der Weltordnung. Den Bauplan dafür legte er 1869 unter dem Titel „Pflanzenkost, die Grundlage einer neuen Weltanschauung“ vor.

Konkrete Analysen gegen die vegane Religion

In ihrer Streitschrift, mit der Udo Pollmer, Georg Keckl und Klaus Alfs gegen den „vegetarischen Wahn“ zu Felde ziehen, rufen die Autoren Gustav von Struve, diesen vergessenen 1848er, als Ahnherrn des bundesdeutschen „Veggie“-Kults wieder in Erinnerung. Aber leider ignorieren sie dabei dessen tiefe Verwurzelung in der von der Rückkehr ins Paradies träumenden „ewigen Linken“. Sie präsentieren ihn statt dessen als isolierten Naturapostel, dessen Werk erst in der NS-Zeit, als ein passionierter Vegetarier Reichskanzler war, auf nennenswertes Interesse stieß. Die polemische Absicht, die Pollmer & Co. mit dieser verkürzten Ideengeschichte des Tier- und Naturschutzes verfolgen, ist leicht zu durchschauen. Stellen sie doch die „Rohköstler“ unserer Zeit nicht allein in eine „braune“ Tradition, sondern sehen sie als Erben einer totalitären Ideologie, die sich heute als „grüner Ökofaschismus“ entpuppe. Blickt man in die Internet-Portale der nach guter alter Sektierermanier miteinander in Fehde liegenden Veganer, Vegetarier, Frutarier oder Breatharianer (Lichtesser), aus deren militanter Programmatik sie reichlich zitieren, ist verständlich, wenn das Autorentrio auf einen derart groben Klotz seinen groben Keil setzt.

Doch der Vorzug des Buches, das in 75 knappen Kapiteln die Irrtümer der Vegetarier-Ideologie widerlegen will, ergibt sich weniger aus den mit unterhaltsam-höhnischem Witz durchsetzten Passagen, die sich gegen die vegane „Weltrettungsreligion“ im allgemeinen richten. Viel eher überzeugen konkrete Analysen, mit denen hier ein Lebensmittelchemiker, ein Agrarstatistiker und ein gelernter Landwirt den „Mären“, „Schnapsideen“, „Denkblockaden“ und „frommen Lügen“ der Tierschützer und Veganer zu Leibe rücken, die das Gros ihrer Mitmenschen gern als „widerliche ordinäre Fleischfresser“ denunzieren.

Einige „Mythen“ scheinen allerdings inzwischen hinreichend als solche entlarvt. So vertrauen wohl nur noch wenige Verbraucher der These, der Regenwald falle dem Fleischkonsum zum Opfer. Nicht Schweine und Rinder profitieren nämlich vom Kahlschlag, sondern die Autofahrer in der Europäischen Union, die Biosprit ihrem Benzin und Diesel beimischen. Nicht der westliche Fleischhunger, die „Energiewende“ treibe die Brandrodungen in Brasilien oder Indonesien voran.

Tofu ist schädlicher als angenommen

Schon weniger als Desinformation von „Ökomoralisten“ zu durchschauen ist die Behauptung, Tofu und Sojamilch seien „saumäßig gesund“. Eher treffe das Gegenteil zu, denn der hohe Gehalt an Phytoöstrogenen wirke sich negativ auf den Hormonhaushalt, gerade von Jugendlichen, aus. Fruchtbarkeitsstörungen und Demenzsymptome durch vermehrten Konsum von Sojaprodukten wurden auch bei Erwachsenen experimentell nachgewiesen. Je mehr Tofu auf dem Speiseplan stand, so belegen Studien aus den USA und Indonesien, desto schlechter die Denkfähigkeit.

Eindrucksvollere Erfolge erzielt die Aufklärungsarbeit der Verfasser indes bei der Zersetzung der populärsten, weil scheinbar evidenten Dogmen des Veggie-Glaubens. Dazu zählt die Überzeugung, Gulaschsuppe oder Hamburger bringe den Planeten stärker aus dem Gleichgewicht als der Verzehr von Salat und Spargel. „Dummerweise“ benötige Spargel aber reichlich Fläche bei wenig Ertrag. Außerdem sei der Nährwert gering. Statt fünf Tonnen kalorienarmen Spargel pro Hektar könne man auf derselben Fläche 60 Tonnen Kartoffeln ernten – randvoll mit Nährstoffen. Dazu komme ein erklecklicher Energieverbrauch, denn manche Spargelbauern verwenden spezielle Fußbodenheizungen, damit das teure Gemüse schneller treibt. Generell gelte daher: Vegetarische Kost senkt nicht, sie erhöht den Flächenverbrauch. Würde etwa die Produktion ganz auf Bio-Eier umgestellt, dürfte sich der Bedarf dafür mindestens verdreifachen. Würde die deutsche Landwirtschaft sogar komplett auf „Bio“ umsteigen, wäre der gleiche Ertrag nur mit 87 Prozent mehr Fläche zu erwirtschaften, und die müßte man dann in der Ukraine oder im Kongo per „Land Grabbing“ akquirieren.

Global hätte gerade der von den Tierrechtlern stets verteufelte Fortschritt in Tierzucht und Tierernährung zu Futterflächeneinsparungen geführt. Ein Gewinn, den die von der ihren „gedankenlosen Luxuskonsum“ pflegenden Vegetarier-Szene forcierte Nachfrage nach frischen pflanzlichen Spezialitäten, die „gern den Flieger nehmen“, wieder verspiele. Das immer exquisitere und exotische Gemüse und Obst für deutsche Vegetarier habe in den letzten zehn Jahren ein Viertel mehr Fläche gefordert, während die Fleisch- und Milchversorgung weniger Fläche benötigte, weil die Fütterung der Tiere immer effizienter geworden sei. Die Zukunft liege darum in einem Landbau, der ökologisch denkt, ohne auf die moderne Technik zu verzichten.

Nicht weniger als den „Weltfrieden“ hatte Gustav von Struve prophezeit, wenn Menschen aufhören, Tiere zu essen. Eine messianische Erwartung, die 150 Jahre später keinem „Veggie“ fremd ist. Was aber, so fragen Pollmer, Keckl und Alfs nicht ohne Bosheit, sei mit den Pflanzen? Ist doch mittlerweile eine Pflanzenrechtsbewegung in Sicht, die ihnen eine „Seele“ zuschreibe.

Als ethisch einwandfreie Nahrung kämen sie daher wohl bald nicht mehr in Frage. Denn „während die Bulette im Hamburger bereits so mausetot ist wie das Brötchen, in dem sie steckt, ist der pflückfrische Salat mit seiner offenen Schnittwunde an der Unterseite sicherlich noch quietschlebendig. Ja, liebe Rohköstler, daran habt ihr noch einiges zu knabbern ...“

Udo Pollmer, Georg Keckl, Klaus Alfs: Don‘t Go V­eggie! 75 Fakten zum vegetarischen Wahn. Hirzel Verlag, Stuttgart 2015, broschiert, 222 Seiten, 19,80 Euro