© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 33/15 / 07. August 2015

Kriminalität
Nicht nur zur Sommerzeit
Michael Paulwitz

Kriminelle haben immer Saison – auch wenn andere gerade Ferien haben. Manche sogar dann erst recht. Für Fahrrad- und Taschendiebe, aber auch für Einbrecher sind die Sommermonate, wenn ganze Vorstadtviertel leer stehen, weil Wohnungsinhaber und Hauseigentümer sich an fernen Gestaden tummeln, während Touristen und Erholungssuchende die Straßen und den öffentlichen Raum bevölkern, goldene Zeiten. 

Da mahnen dann die Presseabteilungen von Polizei und Verwaltungen treuherzig, lieber keine Urlaubsfotos und Reisestatusnachrichten offen in den sozialen Netzwerken zu verbreiten. Das seien für professionelle Einbrecher ebenso Signale für leichte Beute wie wochenlang heruntergelassene Rolläden und überquellende Briefkästen. Und natürlich fehlt nie der Rat, Türen und Fenster nicht offenstehen zu lassen und Schlösser und Eingänge mit zeitgemäßer Technik zu sichern. Selbstverständlichkeiten, gewiß. 

Und doch lenken sie vom Kern des Problems ab: der drastischen Zunahme von Wohnungseinbrüchen, die seit Schengen-Grenzöffnung und EU-Osterweiterung zu verzeichnen ist – 152.000 Fälle registrierte das Bundeskriminalamt im vergangenen Jahr, 40 Prozent mehr als noch im Jahr 2007 –, und den miserablen Aufklärungsquoten. Magere 15,9 Prozent waren es 2014 laut Polizeistatistik, die einen Einbruch bereits als „aufgeklärt“ meldet, wenn überhaupt ein Tatverdächtiger ermittelt wurde. Zur Verurteilung eines Täters kommt es noch viel seltener: Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen hat anhand von 2.500 Fällen aus fünf Großstädten eine an der Zahl der Verurteilten gemessene reale Aufklärungsquote von nur 2,6 Prozent ermittelt.

Dabei ist von der Dunkelziffer der wegen Aussichtslosigkeit gar nicht erst angezeigten Taten hier noch gar nicht die Rede. Beim beliebten Sommerdelikt „Fahrraddiebstahl“ dürfte das Mißverhältnis besonders kraß ausfallen: 340.000 Räder wurden 2014 gestohlen, sieben Prozent mehr als im Vorjahr; die Aufklärungsquote liegt im Schnitt unter zehn Prozent, in München unter zwanzig, anderswo nahe Null. Den Papierkrieg einer Anzeige nimmt nur auf sich, wer Aussicht auf Ersatz durch die Versicherung hat und die Polizei dafür als Buchhalter braucht.

Das ist der Offenbarungseid eines Rechtsstaates, der das Eigentum seiner Bürger nicht mehr schützen kann. Schon macht das böse Wort von den „brasilianischen Verhältnissen“ auch hier die Runde: Sicherheit und Freiraum nur für den, der sich ein abgeschottetes, privat geschütztes Wohnumfeld leisten kann. Die „Brasilianisierung“ Deutschlands wäre das Ende einer der größten Errungenschaften der Neuzeit – des staatlich garantierten Landfriedens für alle.