© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 33/15 / 07. August 2015

Nicht nur die Pressefreiheit ist in Gefahr
Geheuchelte Empörung
Ronald Gläser

Für die Betreiber des linken Blogs Netzpolitik war die vergangene Woche erfolgreich. Der Generalbundesanwalt wollte sie wegen Landesverrats vor Gericht bringen und hat am Ende sein Amt verloren. Bestimmt werden wir die Blogger nun öfter bei Maybrit Illner zu sehen bekommen. 50.000 Euro an Spenden haben sie bereits erhalten. 

Aber ist das Kernproblem vom Tisch? Nein. Im Gegenteil. Durch die Netzpolitik-Affäre wurde der eigentliche Skandal in den Hintergrund gerückt. Und der besteht nach wie vor darin, daß der Staat seine Überwachungstechnik in einem atemberaubenden Tempo ausbaut. Millionen unschuldige Deutsche werden unter Generalverdacht gestellt. Daß jemand, der kritisch darüber berichtet, als Landesverräter angeklagt zu werden droht, ist nur das i-Tüpfelchen. Dissidenten als Verräter zu brandmarken – das gibt es sonst nur in Diktaturen. 

Unsere Regierung will trotz eines Verbots durch das Bundesverfassungsgericht die Vorratsdatenspeicherung wieder einführen. Alle Bankkonten werden international abgeglichen. Soziale Netzwerke abgesaugt. Polizeibehörden bereiten den Drohneneinsatz auch gegen eigene Bürger vor. Paßwörter, Konto- und Fluggastdaten werden im industriellen Maßstab abgefragt. Und alle Politiker, auch und gerade diejenigen, die sich jetzt zugunsten von netzpolitik.org in die Bresche geworfen haben wie Angela Merkel und Heiko Maas, sind daran beteiligt.