© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 33/15 / 07. August 2015

Der Konflikt eskaliert zum Krieg
Türkei/Syrien: Sowohl Ankara als auch die PKK lassen den blumigen Worten der Vergangenheit blutige Taten folgen
Marc Zoellner

Der Krieg kehrt heim nach Dogubeyaz?t: Am Morgen des vergangenen Sonntags, gegen drei Uhr in der Früh, erklangen plötzlich die Alarmsirenen über der kleinen, fünfundsiebzigtausend Seelen zählenden Gemeinde im äußersten Osten der Türkei, an der Grenze zum Iran. Explosionen ertönten, Schreie waren zu vernehmen, dann fielen Schüsse. Extremisten hatten die Stadt gestürmt.

Ein mit zwei Tonnen Sprengstoff beladener Traktor, gelenkt von einem Selbstmordattentäter, rammte frontal die Mauern der Kaserne einer in Dogubeyaz?t stationierten Einheit der türkischen Militärpolizei, riß zwei Soldaten mit in den Tod und verletzte über 30 weitere zum Teil lebensgefährlich. Auch die kurz darauf anrückenden medizinischen Helfer gerieten in einen Hinterhalt, wurden in ein länger andauerndes Feuergefecht mit den Eindringlingen verwickelt. Erst das Eintreffen von Armeehubschraubern konnte die Situation entschärfen.

Ob PKK oder Kalifatsstaat – Ankara setzt auf Angriff 

Doch die Schuld an diesem verheerenden Angriff, welcher neben seinen militärischen Opfern auch ganze Gebäudekomplexe in Trümmern sowie die zivilen Anwohner Dogubeyaz?ts unter Schock zurückließ, trug diesmal nicht der religiös-extremistische Islamische Staat; jene Terrorgruppe, welche seit einigen Jahren darauf erpicht ist, im Süden der Türkei ihr Kalifat zu errichten. Seit dem 24. Juli dieses Jahres, nur wenige Tage nach dem Anschlag von Suruç, bei welchem ein Kalifatsanhänger 32 kurdische Aktivisten tötete, wird der IS auch von den Streitkräften Ankaras, der einzig noch verbliebenen Hegemonialmacht im muslimisch geprägten Nahen Osten, aktiv bekämpft, sowohl mit Razzien im eigenen Land (JF 31-32/15) als auch aus der Luft auf syrischem und irakischem Boden.

Der Anschlag von Dogubeyaz?t ist diesmal hausgemacht. Er trägt die Handschrift der PKK, der Arbeiterpartei Kurdistans; jener Bewegung in der Türkei, welche auch in Europa und den Vereinigten Staaten als Terrororganisation gelistet wird. Seit den 1980ern führt diese Gruppierung einen brutalen, bislang über 40.000 Tote zählenden Bürgerkrieg gegen Ankara, um die Unabhängigkeit der kurdischen Gebiete einzufordern. Seit 2012 schwiegen die Waffen. Der heutige türkische Präsident Recep T. Erdogan selbst hatte damals zu Verhandlungen aufgerufen. Wer diesen schleichenden Friedensprozeß letztendlich zum Kentern brachte, ist unter Analysten des Konflikts in Klein-asien durchaus umstritten. Doch zuerst geschossen hatte zweifelsohne die PKK; nicht nur mit ihrer Ankündigung, „die Waffenruhe“ habe „keinerlei Bedeutung mehr für uns“.

Die Toten von Suruç, bezichtigt die Arbeiterpartei den türkischen Staat, seien von Ankara mutwillig in Kauf genommen worden. Mit ihrer Politik des Laisser-faire unterstütze die Türkei, namentlich Erdogans islamisch-konservative AKP, den IS überdies nicht nur passiv. Er habe auch über Jahre hinweg die Schleusernetzwerke des Kalifats innerhalb der eigenen Grenzen ignoriert, gedeckt und über den MIT, den Geheimdienst der Türkei, sogar logistisch unter die Arme gegriffen. Nicht wenige Kurden sehen im IS ein williges Werkzeug Ankaras im Kampf um die Eindämmung der kurdischen Autonomiebewegung beidseits der Grenzen des Bosporusstaats.

Aus Rache für Suruç erschossen Mitglieder der PKK nur einen Tag nach dem Massaker zwei türkische Polizisten auf offener Straße. Die Chronologie des Terrors zählt seitdem ein halbes Dutzend Attentate, Sabotageakte auf Ölpipelines, mehrere explodierte Landminen und als grausamen Höhepunkt den Selbstmordanschlag von Dogubeyaz?t. Mindestens 16 Polizisten und Soldaten kamen seit dem Wiederaufflammen der Kämpfe zwischen der PKK und den türkischen Streitkräften Ende Juli dieses Jahres ums Leben. Die Türkei greift nun rigoros durch.

„Sämtliche terroristischen Organisationen, welche die Türkei ins Visier nehmen, haben zu wissen, daß ihre Aktionen nicht ungestraft bleiben“, verkündete der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu am 30. Juli in der Washington Post. „Wir werden ihre Taten voller Entschlossenheit beantworten.“

Die Antwort der Türkei auf die Ermordung ihrer zwei Polizisten ließ nicht lange auf sich warten: Kampfflugzeuge erhoben sich in Richtung der Kandil-Berge im irakisch-iranischen Grenzgebiet, einer erklärten, für Landstreitkräfte beinahe unzugänglichen Hochburg der PKK. Auch der syrische Teil der Kurdengebiete wurde von Luftangriffen erschüttert. Seit dem 24. Juli, vermeldeten offizielle türkische Stellen, seien während der Einsätze bereits über 260 kurdische Extremisten getötet worden. Unzählige weitere wurden während einer konzertierten Verhaftungswelle im Land selbst festgesetzt, zusammen mit rund 300 Angehörigen des IS.

Irakische Kurden kritisieren PKK-Hardliner

Um internationale Solidarität im Kampf gegen die PKK ist die Türkei dabei nur gering besorgt. Denn nicht nur die USA decken Ankara bei seinen Militärschlägen den Rücken. Förmliche Unterstützung erfährt die Bosporusrepublik dabei auch von Masoud Barzani, dem Präsidenten der kurdischen Autonomiegebiete des Nordirak. Dieser distanziert sich zwar von den anhaltenden Bombardements kurdischer Dörfer durch die Türkei. Doch gleichzeitig sieht er auch für die Eskalation des Konflikts die PKK in der Verantwortung, deren „Hardliner an einem Frieden nicht interessiert seien“, so Barzani. Immerhin treffen die Konflikte die Kurden selbst am härtesten, bestätigt auch sein Energieministerium in einer Erklärung: Allein seit dem 24. Juli, seit den Sabotageakten auf die Pipeline von Ceyhan, habe das irakische Kurdistan über 250 Millionen Dollar an Einnahmen verloren. Gelder, die im Kampf gegen den Islamischen Staat dringend benötigt würden.