© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 33/15 / 07. August 2015

Ränkespiele an der Kanalküste
Illegale Migration: Während die Lage am Eurotunnel bei Calais eskaliert, schieben sich Paris und London den Schwarzen Peter zu
Friedrich-Thorsten Müller

Nicht erst seit heute steht das nordfranzösische Calais als Ausgangspunkt des Kanaltunnels nach England im Zentrum der illegalen Einwanderung in Europa. Schon 2002 wurde dort auf Druck Londons die letzte legale Flüchtlingsunterkunft, das von Rot-Kreuz-Helfern betriebene Sangatte, geschlossen. Aus der Sicht der Briten waren solche Lager eine Art Fluchthilfe, da keiner der Bewohner in Frankreich Asyl beantragte. 

Seither sind im Umland von Calais wilde Zeltlager und Wellblechcamps entstanden, in denen konstant bis zu 5.000 illegale Einwanderer aus Afrika, Afghanistan, Syrien oder auch Albanien leben.

In den vergangenen Wochen haben sich nun die Zustände am Eingang des Eurotunnels wieder einmal deutlich verschärft. Die Tunnelbetreiber zählten seit Jahresbeginn 37.000 Versuche, illegal auf ihr Betriebsgelände und durch das Eindringen in Lkw auf die Transportzüge nach England zu kommen. In einzelnen Nächten haben nun bis zu 2.200 meist junge Männer versucht, die mit hohen Zäunen umgebene Anlage zu stürmen. Von Juni bis August kamen dabei zehn illegale Einwanderer durch Unfälle ums Leben.

Unerträglich ist die Lage für die betroffenen Lkw-Fahrer. Die Spedition Dachser spricht in aller Deutlichkeit von „Überfällen von Migranten“, die dort an der Tagesordnung seien. Die Branche berichtet in der Verkehrs Rundschau davon, daß sich kaum noch Fahrer für die Englandroute finden lassen, wo außerdem inzwischen bis zu 18 Stunden Wartezeit auftreten kann.

Natürlich sind die Zustände in Calais zwischen London und Paris längst ein Politikum. Gleichwohl bemühen sich die Regierungen um Mäßigung. Für beide Seiten steht zu viel auf dem Spiel. So könnte England das Privileg verlieren, die Tunnel-Grenzabfertigung auf dem Festland auf eigentlich französischem Territorium durchzuführen. Frankreich wiederum hat kein Interesse, die Asylbewerber selbst aufzunehmen, und ist froh darüber, daß Großbritannien die immer mehr steigenden Kosten für die Sicherung des Eurotunnels weitgehend übernimmt. Der sozialistische französische Innenminister Bernard Cazeneuve bekundet daher auch, vor allem das Tunnelunternehmen in Sachen illegale Ausreisen in der Pflicht zu sehen. 

Weniger leise Töne schlägt dagegen Xavier Bertrand, Kandidat der Republikaner in der Region Nord-Pas-de-Calais für die Regionalwahl im Dezember, an. Der frühere Arbeitsminister wird sich dort gegen Marine Le Pen, die Vorsitzende des FN, behaupten müssen. Bertrand droht den Briten, künftig – analog den Italienern – die illegalen Einwanderer einfach nach England weiterreisen zu lassen. Nach seiner Auffassung müßte England sein Arbeitsrecht ändern, das es heute sehr einfach macht, ohne Papiere zu arbeiten. Da dies dann meist untertariflich geschehe, geißelte er dies außerdem als „Lohndumping“ zu Lasten Frankreichs.

Premier David Cameron versucht indes durch eine für den Herbst geplante Verschärfung des Einwanderungsrechts eine Entspannung der Situation herbeizuführen. So sollen auch Hausbesitzer künftig mit in die Pflicht genommen werden, daß keine illegalen Einwanderer Fuß fassen können. Diese dürfen – ja müssen – künftig Einwanderer ohne Aufenthaltserlaubnis ohne Gerichtsbeschluß vor die Tür setzen. Tun sie es nicht, drohen ihnen bis zu fünf Jahren Gefängnis. Doch viele der Illegalen tauchen einfach bei Verwandten oder Bekannten in England unter und lassen solche Maßnahmen ins Leere laufen.