© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 33/15 / 07. August 2015

Das supranationale Projekt EU stößt an seine Grenzen
Mehr Revisionismus wagen
Thomas Fasbender

Zwei europäische Staaten taumeln in diesem Sommer am Rande des Bankrotts: Griechenland und die Ukraine. 320 Milliarden Euro Schulden hat Athen bislang aufgehäuft. Deutschland ist mit 90 Milliarden dabei – ein drittes Hilfspaket nicht mitgerechnet. Will man das Zehn-Millionen-Land wieder zahlungsfähig machen, wären weitere 70 bis 100 Milliarden Euro erforderlich.

Dagegen kommt die viermal so große Ukraine relativ günstig. Seit der Maidan-Revolution 2014 wurde vom Westen bislang nur ein Vierjahres-Paket über 17,5 Milliarden US-Dollar zugesagt; 5,5 Milliarden davon kommen aus der EU. Über eine Ausweitung auf 40 Milliarden Dollar wird verhandelt. Die Bundesregierung stellt außerdem 500 Millionen Euro Kreditbürgschaften bereit.

Glaubt man Politikern und Medien, dann ist das der Preis für Frieden und Demokratie in Europa, für Solidarität, die westlichen Werte und dergleichen mehr. Die Begriffe sind austauschbar, es sind ideologische Argumente. Rational ist allenfalls die Sorge vor einem Auseinanderbrechen der Eurozone, die deutschen Firmen einen weitgehend kreditfinanzierten Exportboom beschert hat. Ob jedoch ein Grexit die Eurozone zur Implosion bringt und ob die Angst davor die enormen Kosten rechtfertigt, am Status quo festzuhalten, ist eine andere Frage.

Die Älteren erinnern sich, daß es in Europa schon einmal ein supranationales Projekt gab, das angeblich auch den Frieden auf dem Kontinent garantierte. Das war bis 1990 das sozialistische Lager von der Elbe bis hinter den Ural. Auch dort war man zu jeder Subvention bereit, solange sie nur dazu beitrug, eine liebgewonnene Fiktion der Linken aufrechtzuerhalten: ohne Sozialismus kommen der Krieg und die Herrschaft des Bösen.

So stützte die Sowjetunion den Ölexport in die Warschauer-Pakt-Staaten von 1960 bis 1980 mit fast 90 Milliarden US-Dollar. Weltmarktpreise hätten ab den siebziger Jahren weder die DDR noch die anderen Satellitenstaaten zahlen können. Für die ineffiziente und ohnehin schon mit hohen Transferleistungen im Inland belastete Wirtschaftsordnung wurde die internationale Hilfe immer weniger finanzierbar. Nicht der Protest auf der Straße, sondern die irrsinnige Wirtschaftspolitik hat dem Realsozialismus schließlich am Ende das Genick gebrochen.

Das westeuropäische Wirtschaftssystem ist ungleich solider, und weder ein Grexit noch eine Ukraine, die sich zwischen West und Ost selbst auf die Beine hilft, würden der EU und der Demokratie zur realen Gefahr. In ihren Sonntagsreden loben unsere Politiker die Wirtschaft für ihre Flexibilität. Moderne Unternehmen arbeiten im Zeichen permanenter Anpassung. Auch die Konzepte des Euro und der EU bedürfen der Revision, sachlich und ohne idées fixes. Der Friede in Europa hat jedenfalls nichts mit der Zahl der Währungen zu tun.