© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 33/15 / 07. August 2015

Sorge vor Enteignung
„National wertvoll“: Um die Neufassung des Kulturschutzgesetzes tobt ein erbitterter Streit
Heiko Urbanzyk

Das Kulturschutzgesetz, amtlich „Gesetz zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung“ (KultgSchG), soll ab 2016 in neuer Fassung gelten. Heftigen Streit erzeugen die Novellierungspläne der Bundesbeauftragten für Kunst und Medien, Monika Grütters (CDU) schon jetzt. Die Kunstszene protestiert. Es geht um viel Geld.    

Bereits die Weimarer Republik sowie die frühere DDR kannten Gesetze zur Ausfuhrverhinderung von Kunstgegenständen. In der Bundesrepublik schützt seit 1955 das Kulturschutzgesetz „national wertvolles Kulturgut“ beziehungsweise ebenso wertvolles Archivgut vor der Abwanderung ins Ausland. Paragraph 1 Abs. 1 KultgSchG bestimmt, daß „Kunstwerke und anderes Kulturgut – einschließlich Bibliotheksgut –, deren Abwanderung aus dem Geltungsbereich dieses Gesetzes einen wesentlichen Verlust für den deutschen Kulturbesitz bedeuten würde“, durch die Bundesländer in einem Verzeichnis zu erfassen sind. Die Aufnahme erfolgt durch Antrag oder von Amts wegen.

Erfaßt werden können Gegenstände in privatem, kirchlichem und öffentlichen Eigentum. Kunstgegenstände, die einmal in einem solchen Verzeichnis aufgenommen sind, werden im Bundesanzeiger bekanntgemacht und bedürfen vor ihrer Ausfuhr einer Genehmigung. Deren Erteilung oder Versagung steht der Bundesbeauftragten für Kunst und Medien nach Anhörung eines fünfköpfigen Sachverständigengremiums zu. Sogar die Verbringung an einen anderen Ort im Inland, der Verlust oder eine Beschädigung sind gemäß aktueller Fassung des Gesetzes dem jeweils zuständigen Landesministerium zu melden. Wer ohne Genehmigung ein derart geschütztes Gut ausführt, dem drohen Geldstrafe oder bis zu drei Jahre Gefängnis. 

Künstlern, Sammlern und Galeristen schmeckt die Einstufung als „national wertvoll“ überhaupt nicht. Der deutsche Kunstmarkt gilt als eher gemäßigt, was die zu erzielenden Preise anbelangt. Wer mit seiner oder anderer Leute Kreativität ordentlich Geld verdienen möchte, muß kunstbegeisterte Käufer im Ausland finden. 

Bisher mußten sich die am Kunstmarkt Beteiligten keine großen Gedanken um die drohende Gefahr einer Einstufung als national bedeutendes Kulturgut und eine Ausfuhrbeschränkung machen. Die öffentlich einsehbaren Verzeichnisse der Bundesländer lassen einen besonderen Eifer mancher behördlicher Kulturschützer kaum erkennen. In Nordrhein-Westfalen finden sich gerade einmal rund zwanzig laufende Nummern (zuzüglich Unterziffern bei Sammlungen) auf der Liste. Und nur fünf schützenswerte Werke aus dem 20. Jahrhundert sind vertreten, darunter zwei Gemälde von Emil Nolde: „Die Heiligen Drei Könige“ und „So Ihr nicht werdet wie die Kinder“. Weitaus fleißiger sind Berlin und Bayern, die vom Flugsaurierskelett bis zum Modell eines Eisenbahnwagens allerhand Kulturbestände für wertvoll erachten.

Kritiker sehen hinter der Aufnahme in die Verzeichnisse keinerlei Konzept und sprechen von Willkür. In der Tat gibt es bislang keine rechtliche Definition dafür, was „national wertvolles Kulturgut“ sein soll. Es bestehen dafür lediglich Empfehlungen der Kultusministerkonferenz, die nicht rechtsverbindlich und sogar nach Angabe von Grütters Behörde „unpräzise“ sind. Zeitgenössische Kunst wird zur Erleichterung lebender Kunstschaffender derzeit nicht erfaßt.

Diese Regeln des Kulturschutzes sollen nach Vorstellung von Staatsministerin Grütters nun „verbessert“, also verschärft werden. Dabei gilt es die EU-Rückgaberichtlinie aus dem Jahr 2014 in bundesdeutsches Recht umzusetzen. Zudem soll eine 45 Jahre alte Unesco-Konvention verschärft umgesetzt werden, wonach die rechtmäßige Ausfuhr aus Herkunftsstaaten als Voraussetzung für die rechtmäßige Einfuhr ins Bundesgebiet gilt. Zur Begründung führt Grütters die Ausweitung des illegalen Kunsthandels durch die aktuellen Plünderungen von Museen durch den Islamischen Staat in Syrien und dem Irak an. Der deutsche Entwurf sieht daher vor, verschiedene Gesetze in einem Regelwerk zusammenzuführen. So normiert bisher das Kulturgüterrückgabegesetz (KultGüRückG) gesondert die illegale Einfuhr oder Ausfuhr sowie die Rückgabe von Kulturgütern anderer EU-Mitgliedsstaaten. Auch hier drohen bis zu drei Jahre Haft, bei gewerbsmäßigem Handeln sogar fünf Jahre.

Das neue Kulturschutzgesetz soll klar definieren, was schützenswert ist. Zeitgenössische Kunst wird darunter künftig ebenso erfaßt. Insgesamt sieht die Bundesbeauftragte in dem neuen Gesetz eine Stärkung des Kunsthandelsstandortes Deutschland durch mehr Rechtssicherheit und Transparenz. 

Bereits zum Beginn des Gesetzgebungsverfahrens im Juli 2014 gaben mehr als vierzig Experten, Verbände und Institutionen im Rahmen einer schriftlichen Anhörung ihre Stimmen für zahlreiche Änderungen im Kulturschutzgesetz ab. Hermann Parzinger begrüßte die Gesetzesneufassung namens der Stiftung Preußischer Kulturbesitz.   

Der deutsche Kunsthandel wittert hinter den neuen Regelungen eine „Totregulierung“. In einem offenen Brief an Monika Grütters von Mitte Juli warnen mehr als 250 Galeristen, Restauratoren und Sammler vor einem Ende des internationalen Kunsthandels in Deutschland. „Träte dieses Gesetz in Kraft, so hätte es einschneidende Folgen für Sammler, Kunsthändler und letztlich auch für die Künstler und wäre ein Beleg des totalen Versagens deutscher ‘Kulturpolitik’“, warnen sie. Grütters wird vorgeworfen, das neue Kulturschutzgesetz solle dem Staat lediglich einen vergünstigten Zugriff auf für ihn wertvolle Kunst schaffen. Um die bloße Erfassung nationalen Kulturgutes gehe es gar nicht. „Es drängt sich vielmehr der Verdacht auf, daß man es sich zum eigentlichen Ziel gemacht hat, zunehmende Kontrolle über den Kunstbesitz deutscher Staatsbürger sowie über deren Handel zu gewinnen.“ Letztlich laufe jeder Privatsammler Gefahr, durch den Staat enteignet zu werden.

Die Staatsministerin ficht diese Kritik nicht an. Öffentliche Sammlungen würden stärker geschützt und eine Verwaltungsvereinfachung und Stärkung des Kulturaustauschs erreicht. An Privatsammler ergeht die klare Ansage aus Artikel 14 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz: „Eigentum verpflichtet.“ Das neue Gesetz solle die besondere Sozialpflichtigkeit von Eigentümern von Kulturgut unterstreichen.