© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 33/15 / 07. August 2015

Aus der Sicht von Matrosen
Volkspädagogik: Das Militärhistorische Museum der Bundeswehr in Dresden zeigt eine Ausstellung mit Tagebüchern zum Seekrieg 1914 bis 1918
Wolfgang Kaufmann

Mittlerweile zeigen die meisten deutschen Museen Geschichte nur noch als „Geschichte von unten“, also aus der Perspektive des sogenannten „Kleinen Mannes“ – und zwar unabhängig davon, wie hoch oder niedrig der hieraus resultierende Erkenntnisgewinn ausfällt. Das gilt auch und gerade für das Militärhistorische Museum der Bundeswehr in Dresden: Nachdem schon die Sonderausstellung anläßlich des hundertsten Jahrestages des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs ausschließlich die Erfahrungen von ganz durchschnittlichen Deutschen (darunter vielfach Frauen) thematisiert hatte, wird nun auch der Seekrieg während der Jahre von 1914 bis 1918 aus der Sicht zweier einfacher Matrosen dargestellt.

Bei dem einen handelt es sich um Richard Stumpf aus Bayern, bei dem anderen um Carl Richard Linke aus Forst in der Lausitz. Beide gehörten zu den 1.112 Besatzungsmitgliedern des Großlinienschiffes „S.M.S. Helgoland“, welches 1911 in Reaktion auf die neue englische Dreadnought-Klasse in Dienst gestellt worden war. Stumpf und Linke hinterließen jeweils tagebuchartige Aufzeichnungen über ihre Zeit an Bord, aus denen unter anderem hervorgeht, wie schnell die anfängliche nationale Begeisterung des Sommers 1914 aufgrund der Ereignislosigkeit des Seekrieges und des fortwährenden „schikanösen Gamaschendienstes“ an Bord des „Dickschiffes“ verschwand.

Dabei kam die „Helgoland“ im Gegensatz zu anderen Einheiten noch relativ oft zum Einsatz, so zum Beispiel bei Angriffsunternehmungen in der Ostsee, dem Vorpostendienst in der Deutschen Bucht, der Sicherung von Minensuchflottillen und am Ende sogar in der Skagerrakschlacht vom 31. Mai beziehungsweise 1. Juni 1916. In deren Verlauf erhielt sie auch einen 34,3-Zentimeter-Treffer im Vorschiff, der jedoch keine Opfer forderte.

Allerdings stellt das Militärhistorische Museum eben nicht die Tagebucheinträge in den Mittelpunkt, welche solche Ereignisse beschreiben, sondern Textpassagen, in denen über die Bedingungen an Bord geklagt wird. Dabei kommen besonders die Offiziere schlecht weg: Diese hätten gepraßt und ein schönes Leben geführt, während die Matrosen hungerten; darüber hinaus seien sie in den meisten Fällen total inkompetent gewesen. Hierzu schrieb Linke am 29. Juni 1915: „Die fähigsten und tüchtigsten Offiziere kommen aufs U-Boot oder Kreuzer und der Ausschuß bleibt uns auf dem Halse.“ Dieser – übrigens ohne jedwede Quellenkritik präsentierten – Äußerung fügten die Ausstellungsmacher dann in unverkennbar volkspädagogischer Attitüde hinzu: „Seeoffiziere gehörten zu einer kleinen elitären, kaisertreuen und handverlesenen gesellschaftlichen Gruppe, die weitgehend von anderen sozialen Schichten isoliert war.“

Spätestens an dieser Stelle des Ausstellungsrundgangs fragt sich der kritische Besucher nun, inwieweit es redlich und wissenschaftlich vertretbar ist, daß man nicht wenigstens einen Offizier zu Wort kommen läßt, um das Behauptete zu belegen oder aber ein Gegengewicht zu den Aussagen der beiden Matrosen zu schaffen. Marineoffiziere haben doch ebenfalls Erinnerungen an den Seekrieg hinterlassen, deren parallele Mitberücksichtigung zu einem sehr viel differenzierteren Bild führen würde! Oder anders formuliert: Warum scheut das Militärhistorische Museum der Bundeswehr davor zurück, auch Offizieren eine Stimme zu geben?

Diese didaktische Unterlassungssünde mag ja vielleicht zu einem anderen Museum passen, dessen Leitung keinen Bezug zum Militärischen hat, aber hier geht es um eine Einrichtung der Bundeswehr, die nur wenige Meter von der Heeresoffiziersschule entfernt liegt. Bedenkt denn niemand, welche Botschaft dem künftigen Führungspersonal der deutschen Streitkräfte durch eine solch demonstrative Nichtbeachtung beziehungsweise Abwertung des Offiziersstandes vermittelt wird? Oder steckt da gar Methode dahinter?

Weiter ist festzustellen, daß diese Verfahrensweise, welche dann auch noch in einem pauschalen und ebenfalls unreflektierten Verständnis für Meutereien, Matrosenaufstände und die Revolution von 1918 mündet, mit einer nicht gerade großen Professionalität bei der Präsentation der beiden Tagebücher einhergeht. Zugang zu den Originaltexten erhält der Besucher nämlich nur über zwei Säulen mit Touchscreens. An diesen kann er über ein Menü einzelne Passagen der Aufzeichnungen abrufen. Das ist zum einen recht umständlich, und zum anderen reagieren die Bildschirme auch nicht immer so auf Berührungen, wie sie es eigentlich sollten.

Außerdem entstand hierdurch ein „Flaschenhals“ innerhalb der Exposition: Da letztendlich immer bloß eine Person die angezeigte Seite lesen kann, dürfte es schon bei mäßigem Andrang schwer sein, sich mehr als nur ganz oberflächlich mit den Tagebüchern von Stumpf und Linke zu befassen. Allerdings steht zu vermuten, daß die Ausstellung, die noch bis zum 27. Oktober zu sehen ist, wohl nicht gerade vom Publikum überrannt werden wird. Denn inzwischen hat sich doch herumgesprochen, wie sehr der Zeitgeist jetzt auch im Militärhistorischen Museum zu Hause ist.

Die Ausstellung „Die Flotte schläft im Hafen ein“ ist bis zum 27. Oktober im Militärhistorischen Museum der Bundeswehr in Dresden, Olbrichtplatz 2, täglich von 10 bis 18 Uhr, Mo. bis 21 Uhr, zu sehen. Telefon 03 51 / 823 -28 03

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