© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 33/15 / 07. August 2015

Herrschaft über Informationen ist gefährlicher als die Atombombe
Der ehemalige Offizier und Nachrichtenexperte Günther K. Weiße stellt Deutschland ein schlechtes Zeugnis im Krieg der technischen Spionage aus
Friedrich Wilhelm Schlomann

Günther K. Weiße war während des Kalten Krieges im Nato-Hauptquartier an entscheidenden Positionen in der Funkabwehr und -aufklärung tätig, seine Publikationen wurden Bestseller. 

In seinem neuen, fußnotengesättigten Buch erfährt der Leser anhand überaus vieler Einzelheiten einen tiefen Einblick in die heutige Situation in den verschiedensten Ländern unseres Erdballs. Weiße vertritt dabei die Ansicht, im Gegensatz zu den damaligen Sorgen vor Nuklearwaffen wären zukünftig Informationsoperationen in ihren verschiedensten Formen weitaus wichtiger: Sie könnten das Potential des Angegriffenen so nachhaltig schwächen, daß dieser zu einer Verteidigung gar nicht mehr fähig sei. Dieser Kampf um Informationsüberlegenheit, die heute nicht nur die USA anstreben, stelle einen äußerst wichtigen Faktor bei zukünftigen militärischen Auseinandersetzungen dar, zumal er seine Wirkungen oft bereits vor dem Ausbruch offener Feindseligkeiten zeige. 

Deutschland ist gegen Cyberwars überaus anfällig

Ein Einsatz von Nuklearwaffen sei bei derartigen Operationen nicht zu befürchten, da deren Schäden in ihrer Bedeutung von denen von Atomangriffen durchaus vergleichbar sind. Der Erhalt von „Kritischen Infrastrukturen“, die Lebensadern eines Staates, besonders die Energieversorgung und seine Telekommunikationsnetze, gewinnt entscheidende Bedeutung, da ihre Zerstörung bisher nicht absehbare Folgen verursachen würde.

Die USA, die ihre seit den Anschlägen vom 11. September 2001 wirkende Traumata bisher nicht überwunden haben und sehr realistisch einen weltweiten Terrorismus  des Islams befürchten, unternehmen alle Schutzmaßnahmen gegen Zugriffe auf ihre Datenbanken. Sehr enge Austauschprogramme gibt es mit ihren Partnern, den „Five Eyes“ (USA, Großbritannien, Kanada, Neuseeland und Australien) sowie weiteren „Third Parties“. Zu letzteren zählt auch Deutschland. Ob diese auf reziproker Basis erfolgen, wird vom Verfasser zu Recht bezweifelt. Wichtiger Partner für Washington ist Frankreich angesichts seiner guten Kontakte zum Nahen und Mittleren Osten. 

Das heutige Rußland verfügt über gute technische Spionage in Form seines Direktorats „Kosmische Aufklärung“; ein wichtiger Stützpunkt befindet sich im Königsberger Gebiet. In den nächsten Jahren wird mit einem noch stärkeren Vorgehen gegen Westeuropa zu rechnen sein. China erkannte sehr früh die Möglichkeiten eines Cyberwar und konnte bereits größere Erfolge bei seinen Angriffen gegen die USA erzielen.

Deutschland hat die Entwicklung leider verpaßt, insbesondere ist seine Wirtschaft trotz zahlreicher Anstrengungen immer noch äußerst angreifbar. Größte Gefahren gehen von der unbeschränkten Übermittlung von Daten aller Art aus, besonders der drahtlosen Übermittlung von Informationen. Daß selbst die Bundesregierung dagegen nicht geschützt ist, hat die Überwachung des Mobiltelefons der Bundeskanzlerin und anderer Regierungsmitglieder bewiesen. Die Bundesregierung ist mit abhörsicheren Mobiltelefonen der kanadischen „Blackberry Z 10“ ausgestattet, in deren Verschlüsselungssysteme nach Erkenntnissen des Autors indes die NSA längst eingedrungen ist. Eine Verstärkung der Sicherheit Deutschlands wäre dringend erforderlich, sofern es wirksame Gegenmittel überhaupt noch geben sollte.

Günther K. Weiße: Informationsoperationen weltweit. Ibidem-Verlag, Stuttgart 2015, gebunden, 455 Seiten, 39,90 Euro