© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 34/15 / 14. August 2015

„Vielfalt bringt vielfältige Konflikte“
Angesichts der steigenden Zahl von Einwanderern stellt sich die Frage: Spielt ethnische Homogenität für Gesellschaften eine Rolle? Ja, behauptet Verhaltensforscher Frank Salter. Wahrheit oder Ideologie?
Moritz Schwarz

Herr Dr. Salter, Sie sagen, der Mensch habe das vitale Interesse, seinen „genetischen Fortbestand“ zu sichern, der durch Massenzuwanderung bedroht sei. Inwiefern?

Salter: Ich lege das in meinem Buch „On Genetic Interests. Family, Ethnicity and Humanity in an Age of Mass Migration“ dar: In der Evolution geht es nicht um individuelles Überleben, sondern um genetischen Fortbestand. Jedes Kind ist ein Speicher des elterlichen Erbguts. Biologisch ausgedrückt haben Eltern ein „genetisches Interesse“ an ihren Kindern. Deshalb sind sie bereit, emotional und materiell in ihre Kinder zu investieren. Darüber hinaus teilen wir aber auch Gene mit den Mitgliedern unserer jeweiligen ethnischen  Gruppe, normalerweise etwa so viele wie mit Vettern ersten Grades. Das wurde erstmals von dem englischen Verhaltensforscher William Hamilton nachgewiesen und von dem US-Genforscher Henry Harpending bestätigt. Ethnische Gruppen können Millionen von Mitgliedern haben, so daß wir insgesamt genommen ein noch größeres genetisches Interesse am Fortbestand unserer Gruppe haben als an unseren unmittelbaren Familien. Durch die Zuwanderung genetisch andersartiger Menschen reduziert sich allerdings auf Dauer der Bestand einheimischer Gene. Wird das auf die Spitze getrieben – wie es derzeit in westlichen Ländern geschieht –, verdrängt die Einwanderung einen erheblichen Anteil des ursprünglichen genetischen Bestands.

Der berühmte Verhaltensforscher Irenäus Eibl-Eibesfeldt nannte Ihre Arbeit „überzeugend“, Ihre politischen Formulierungen aber „provokativ“. Wollen Sie provozieren?

Salter: Ich bin Wissenschaftler. Aber meine These wird in der Tat von manchen als Provokation empfunden, weil sie den Vorurteilen der Mainstream-Sozialwissenschaften und der linksliberalen politischen Kultur zuwiderläuft. Aus politischen Gründen ist die Biologie seit den zwanziger und dreißiger Jahren aus der Soziologie, Anthropologie und Politologie weitgehend verdrängt worden. Daran hat sich bis heute kaum etwas geändert. Ich beschäftige mich zwar mit Gesellschaft und Politik, ursprünglich kommt die Analyse genetischer Interessen jedoch aus meiner Beschäftigung mit der Ethologie und Soziobiologie, nicht zuletzt durch meine langjährige Arbeit an der Max-Planck-Forschungsstelle für Humanethologie unter Eibl-Eibesfeldt. 

Salter: Mir ist nicht bewußt, daß der Begriff den Nazis zugeschrieben wird. 

In Deutschland kann selbst „Autobahn“ ein gefährlicher Begriff sein. 

Salter: Also ich bezweifle, daß die Nazis je so berüchtigt geworden wären, wäre es ihnen lediglich um Fortbestand gegangen. Ihr Ziel war Eroberung. Aber selbst wenn Hitler tatsächlich von Fortbestand gesprochen hätte, warum sollte das für uns von Bedeutung sein? Er hat auch von Frieden gesprochen. Ist deshalb der Pazifismus suspekt? Ich habe den Begriff des genetischen Fortbestands der Evolutionsbiologie entlehnt. In meiner Theorie wird genetischer Fortbestand nicht als Vorrecht einer Ethnie, sondern als ein Interesse aller Menschen festgestellt. 

Stimmt Ihre Theorie, kann multikulturelle Gesellschaft dann funktionieren? 

Salter: Multikulturalismus kann durchaus erfolgreich sein – aber nur mit ausreichender gesellschaftlicher Kontrolle! Die Frage, die ich aufgeworfen habe, lautete dagegen, ob er sich mit genetischem Interesse und mit der liberalen Demokratie  vereinbaren läßt? Meiner Ansicht nach sind die zur Gewährleistung dieser Vereinbarkeit notwendigen Bedingungen nicht praktikabel. Genetisch argumentiert deswegen nicht, weil der Multikulturalismus eine ständige Masseneinwanderung legitimiert, die die Minderheiten auf Kosten der Mehrheit vergrößert. Politisch ausgedrückt liegt es am Preis der ethnokulturellen Vielfalt: Mehr Vielfalt führt zu mehr ethnischen Konflikten, wobei Konflikt im weiteren Sinne gemeint ist, der neben Gewalt – Bürgerkrieg, Staatsstreiche, Sezession – auch Polarisierung und Wettbewerb in der politischen und wirtschaftlichen Sphäre umfaßt. Das wiederum ist der Grund dafür, daß Gesellschaften, die sich dem Multikulturalismus verschreiben, für gewöhnlich einen Indoktrinations- und Zwangsapparat aufbauen, um Meinungsfreiheit und Diskriminierung staatlich zu regulieren. Eine teilweise Ausnahme bilden hier die USA, wo die Meinungsfreiheit von der Verfassung geschützt wird, obwohl es auch dort mächtige inoffizielle gesellschaftliche Kontrollen gibt, die man umgangssprachlich als „Politische Korrektheit“ bezeichnet. 

Aber Völker sind das Resultat mehr oder weniger zufälliger ethnischer Zusammenballungen. Wie können ihre Angehörigen da ein gemeinsames genetisches Interesse haben?  

Salter: Es stimmt, daß zur Ethnogenese – also der Entstehung von Völkern – die Amalgamierung kleinerer Bevölkerungen gehört. Dieser Prozeß ist jedoch nicht beliebig. Ob bei den Han-Chinesen, den Koreanern, den Engländern, den Franzosen oder den Zulus – die ethnische Amalgamierung findet zwischen eng miteinander verwandten Nachbarbevölkerungen statt. Im Ergebnis entsteht eine neue Ethnie mit erheblichen genetischen und kulturellen Ähnlichkeiten. Ein Beispiel aus der jüngeren Zeitgeschichte ist die Entstehung großer ethnischer Gruppen in den USA, die aus eng miteinander verwandten Kulturen hervorgingen – „weiße Amerikaner“, „schwarze Amerikaner“, „jüdische Amerikaner“ und so weiter. 

Warum sollte die Fragmentierung der multikulturellen Gesellschaft ein Problem sein? Auch herkömmliche Völker sind – sozial, kulturell, religiös – fragmentiert.  

Salter: Der Glaube an die Abstammung von gemeinsamen Vorfahren bildet das zentrale Element ethnischer Identität, wie Max Weber feststellte. Meta-Ethnien wie die Deutschen, die Engländer oder die Han sind sich bei allen kulturellen Unterschieden ihrer gemeinsamen Abstammung bewußt. Auf multikulturelle Gesellschaften aus Einwanderern aus der ganzen Welt trifft das nicht zu. 

Der britische Staatsmann Benjamin Disraeli schrieb im 19. Jahrhundert über arme und reiche Engländer, diese seien wie „zwei Nationen, zwischen denen es keine Verbindung gibt. Die so wenig voneinander wissen ... als ob sie auf zwei Planeten lebten.“ Zeigt das nicht, daß auch ethnisch homogene Gesellschaften sozial genauso inhomogen sind wie multikulturelle? 

Salter: Großbritannien war und ist ein Vielvölkerstaat, der sich aus mehreren Königreichen und Nationen zusammensetzt. Im Laufe der Zeit hat sich aber eine „britische“ Meta-Identität herausgebildet. Disraeli hatte unrecht, wenn er die Reichen und die Armen als zwei Nationen bezeichnete; in Wirklichkeit handelt es sich um zwei Klassen. Klassen gibt es auch in multikulturellen Gesellschaften, hinzu kommen ethnische Unterschiede, so daß sie eher zu Spaltungen neigen als ethnisch homogene Nationen. Verschlimmernd kommt hinzu, daß multikulturelle Gesellschaften in der Regel eine gewisse Stratifizierung – also Schichtung – der Ethnien untereinander aufweisen, wie sich am Beispiel der USA, Großbritanniens, Deutschlands, Frankreichs zeigt. Ethnische Stratifizierung führt leicht zu Spaltungen, läßt sich aber mit zunehmender Heterogenität offensichtlich kaum vermeiden. Ungleichheit zwischen verschiedenen Ethnien ist nicht primär auf Rassismus zurückzuführen und kann daher nicht durch soziale Zwangsmaßnahmen behoben werden, wie sie Multikulturalisten bevorzugen.

Sie behaupten, ethnisch homogene Gesellschaften wären produktiver, demokratischer, sozialer sowie weniger korrupt und kriminell. Warum sollte das so sein und welche Beweise haben Sie für diese These?

Salter: Die Studien, die dies nachweisen, finden Sie in den von mir herausgegebenen Büchern „Welfare, Ethnicity and Altruism“ und „Risky Transactions. Trust, Kinship and Ethnicity“. Interessanterweise lag diesen Studien die evolutionsbiologische Hypothese zugrunde, Altruismus und gegenseitiges Vertrauen bildeten sich aufgrund gemeinsamer ethnischer Identität eher in homogenen als in heterogenen Gesellschaften heraus. In aller Regel eignet sich die Evolutionslehre weniger als Grundlage für Vorhersagen, sondern eher als heuristische Methode – also zu versuchen, aus Erfahrungen der Vergangenheit Lehren für die Zukunft zu ziehen. Insofern ist sie auch ein nützlicher Wegweiser für politische Entscheidungen, da sie unsere Aufmerksamkeit auf lebenswichtige Interessen wie Fortbestand und Kontinuität richtet. 

Vielleicht entwickelt sich der Multikulturalismus gesellschaftlich noch und wird am Ende ebenso produktiv, demokratisch, sozial und stabil wie homogene Bevölkerungen? 

Salter: Multikulturalismus kann sogar zu stabil sein. Hier besteht ein Unterschied zwischen östlichem und westlichem Multikulturalismus. Ersterer integriert die Mehrheitsbevölkerung in das System der multikulturellen Patronage. Letzterer ist eine auf den Kopf gestellte ethnische Hierarchie, wobei der Staat den Ethnozentrismus der Minderheit fördert und zugleich den Ethnozentrismus der Mehrheit abzubauen versucht. Was dabei herauskommt, ist ein Bündnis zwischen Staat und organisierten Minderheiten gegen die Mehrheit. Die Entstehung des westlichen Multikulturalismus war ein entscheidender Moment in der politischen Entwicklung – der Moment nämlich, in dem die Gründernation die Kontrolle über den Staat verlor, den sie gegründet hatte. Der Soziologe Eric Kaufmann spricht hier von „asymmetrischem Multikulturalismus“. Der westliche Multikulturalismus wurde auf undemokratische Weise von Eliten durchgesetzt, die der Mehrheit feindselig oder gleichgültig gegenüberstanden. Er wurde zur Legitimierung einer ständigen Massenzuwanderung instrumentalisiert, die den demographischen Interessen der Gründernation widerspricht. So gesehen ist Multikulturalismus eine ständige Revolution der politischen Führungsschicht gegen die Mehrheit der Bevölkerung. 

Hier kommt der Beweis, daß Sie unrecht haben: Die westlichen Länder sind die produktivsten, demokratischsten, sozialsten und stabilsten der Welt – und gleichzeitig die am meisten multikulturalisierten.

Salter: Um meine Analyse zu widerlegen, müßten Sie nachweisen, daß Wohlstand, Demokratie und Stabilität der  westlichen Gesellschaften direkte Folge der zunehmenden Heterogenität sind. Die Kausalität verläuft aber andersherum. Die europäischstämmigen Gesellschaften zählten zu den homogensten der Welt, selbst wenn man die US-Sklaverei berücksichtigt. Sie haben Liberalismus und Demokratie durchgesetzt und waren Vorreiter in Wissenschaft und Industrie. Letzterer verdanken sie ihren Wohlstand, der wiederum Einwanderer anlockte und damit für Vielfalt sorgte. Wie lange bürgerliche Freiheit, Demokratie, Lebensstandard und Stabilität die zunehmende Heterogenität überleben, muß sich noch zeigen. Die bisherige Entwicklung gibt wenig Anlaß zur Zuversicht.

In der Geschichte gab es allerdings multikulturelle Gesellschaften, die über Jahrhunderte erfolgreich waren, etwa das römische, das persische oder das habsburgische Reich. 

Salter: Oder das Osmanische Reich. Bei all diesen Beispielen handelt es sich jedoch um autoritäre Hierarchien. Das Osmanische und das Habsburger-Reich brachen unter äußeren Erschütterungen zusammen. Ähnlich wie das sowjetische und das jugoslawische Reich später, zerfielen sie in homogenere Gesellschaften. Diese Beispiele belegen mein Argument, daß sich Demokratie und Gleichheit bei steigender Vielfalt schwieriger aufrechterhalten lassen. Die Vielfalt drängt uns offenbar in Richtung einer autoritären Herrschaft, womöglich einer Oligopolie. 

Sie sagen, die meisten Kriege seit 1945 waren Bürgerkriege – und ethnisch homogene Gesellschaften seien dafür weniger anfällig. 

Salter: Hier berufe ich mich vor allem auf Rudolph J. Rummel, eine Koryphäe auf dem Gebiet der Forschung über kollektive Gewalt. Anhand von Daten, die der Anthropologe Michael Garfield  Smith zusammengetragen hatte, stellte Rummel fest, daß die Varianz der relativen Häufigkeit zwischenstaatlicher Gewalt zwischen 1932 und 1982 im Vergleich zwischen 166 Staaten zu zwanzig Prozent von ethnischer Heterogenität abhing. Der einzige Faktor, der einen noch stärkeren Einfluß hatte, war Demokratie. Eine neue Studie des finnischen Soziologen Tatu Vanhanen faßte den Konfliktbegriff weiter und berücksichtigte auch Polarisierung und den politischen Wettbewerb um die Kontrolle über die Einwanderungspolitik. Er verglich 176 Gesellschaften und kam zu dem Ergebnis, daß ethnische Heterogenität sechzig Prozent des Ausmaßes von ethnischem Konflikt bestimmt. Mit anderen Worten, je vielfältiger eine Gesellschaft, desto größer das Ausmaß des Konflikts. 

Welche Auswirkung hat ethnische Diversität nach Ihrer Ansicht auf den Sozialstaat?

Salter: Tatu Vanhanen und der US-Soziologe Stephen Sanderson verglichen staatliche Sozialleistungen in unterschiedlichen Ländern weltweit und kamen zu dem Ergebnis, daß eine negative Korrelation zwischen ethnischer Vielfalt und Sozialleistungen besteht. Die Differenzen in bezug auf Sozialleistungen lassen sich zu 32 Prozent auf ethnische Heterogenität zurückführen. Mit anderen Worten, mit zunehmender Heterogenität nehmen die Sozialleistungen ab. Das leuchtet ein, wenn man den Zusammenhang zwischen Heterogenität und ethnischer Stratifizierung bedenkt. Die Mittelschicht wählt weniger Parteien, die großzügig Sozialleistungen verteilen, wenn diese vor allem Mitgliedern anderer ethnischer Gruppen zukommen. 

Sie setzen dem Multikulturalismus Ihr Konzept eines „Universellen Nationalismus“ entgegen. Was ist das? 

Salter: Universeller Nationalismus ist die Alternative zu Globalisierung und chauvinistischem Nationalismus. Ziel ist nicht Expansion, sondern Fortbestand. Universeller Nationalismus wäre mit einem echten Multikulturalismus vereinbar, der die Gründernation achtet und ehrt, statt sie als Feind anzusehen. So würde der Multikulturalismus demokratisiert, indem die Mehrheit ein Mitspracherecht hätte. So eine Reform würde Massenzuwanderung tendenziell reduzieren, die den Interessen von Minderheiten und der Wirtschaft dient. Die Heterogenität würde durch Assimilierung ab- und der öffentliche Altruismus zunehmen. Für die westlichen Nationen ist die Demokratisierung des Multikulturalismus ein überlebensnotwendiges Ziel. 






Dr. Frank Salter, der australische Verhaltensforscher, Jahrgang 1953, lehrte an den Universitäten von Sydney, Wien, Salt Lake City, am Birkbeck College in London und am Max-Planck-Institut für Verhaltensphysiologie in Andechs. Er veröffentlichte zahlreiche Fachartikel und Bücher, darunter 2003 „On Genetic Interests. Family, Ethnicity and Humanity in an Age of Mass Migration“ im Schweizer Wissenschaftsverlag Peter Lang.

Foto: Illegale Einwanderer in Europa: „Ein universeller Nationalismus würde die Massenzuwanderung tendenziell reduzieren, die den Interessen von Minderheiten und der Wirtschaft dient“   

 

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