© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 34/15 / 14. August 2015

Justizminister bezwingt Bundesanwaltschaft
„Netzpolitik“: In der Affäre um die Ermittlungen wegen Landesverrats hat sich Heiko Maas durchgesetzt
Lion Edler

Es konnte wohl niemanden überraschen, daß Claudia Roth empört war. Man kann sogar sagen, die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags war geradezu betroffen. „Unerhört“ seien die Ermittlungen wegen Landesverrats, die gegen zwei Blogger von der Plattform Netzpolitik.org angestrengt wurden. Eine „offene Demokratie“ atme schließlich „die Luft des kritischen Journalismus“, sagte die Grünen-Politikerin. Dieser „kritische Journalismus“, der von Roth in den höchsten Tönen gelobt wird, ist allerdings eher unkritisch gegenüber Claudia Roth eingestellt. Schließlich war der Netzpolitik-Chefredakteur Markus Beckedahl, gegen den ermittelt wurde, ein Jahr lang im Bundesvorstand der Grünen Jugend aktiv. 2010 war er von der Grünen-Fraktion als Sachverständiger für die Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ berufen worden. Ob Roth sich mit gleicher Verve für Journalisten einsetzen würde, die sich kritisch mit Claudia Roth und grünen Ansichten befassen?

Beckedahl und sein Mitstreiter Andre Meister dürften jedenfalls aus dem Schneider sein. Die Ermittlungen wegen des „Verdachts der strafbaren öffentlichen Bekanntgabe eines Staatsgeheimnisses“ werden eingestellt, teilte die Bundesanwaltschaft unter dem neuen Generalbundesanwalt Peter Frank am Montag mit. In Übereinstimmung mit dem Bundesjustizministerium gehe die  Karlsruher Behörde davon aus, daß es sich bei den veröffentlichten Inhalten nicht um ein Staatsgeheimnis im Sinne des Paragraphen 93 des Strafgesetzbuches handele. Den Bloggern war vorgeworfen worden, den geheimen Wirtschaftsplan des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) veröffentlicht zu haben, der unter anderem sensible Pläne für die verstärkte Ausspähung des Internets enthielt (JF 33/15). Weiter verfolgt wird indessen der Tatverdacht wegen Verletzung des Dienstgeheimnisses, der sich gegen unbekannte Mitarbeiter des Verfassungsschutzes richtet. Das entsprechende Verfahren wurde an die Staatsanwaltschaft übergeben, erläuterte die Generalbundesanwaltschaft. 

Derweil dreht sich jedoch alles um die Frage, wie der Umgang von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) mit dem früheren Generalbundesanwalt Harald Range zu bewerten ist. Range hatte ein externes Gutachten eines Sachverständigen in Auftrag gegeben, das klären sollte, ob die Netzpolitik-Dokumente  ein Staatsgeheimnis sind. Der Sachverständige bejahte dies in einer vorläufigen Bewertung. Als Range dies dem Justizministerium mitteilte, soll er von Maas angewiesen worden sein, das Gutachten zu stoppen. Das Ministerium wolle ein eigenes Gutachten beauftragen, hieß es. „Dieser Weisung habe ich Folge geleistet“, sagte Range, der sogleich zum Frontalangriff überging und Maas einen „unerträglichen Eingriff in die Unabhängigkeit der Justiz“ vorwarf. Ranges Entlassung durch Maas folgte auf dem Fuße. Der Minister stellt den Vorgang ohnehin anders dar: Der Stopp des Gutachtens sei „gemeinsam verabredet“ gewesen – ohne Kenntnis des Ergebnisses.

Viel Zuspruch für Harald Range

Range rechtfertigt sein Verhalten damit, daß er sich nicht strafbar machen wollte – schließlich könne man nicht einfach Beweismittel austauschen. Zustimmung erfährt er dabei in zahlreichen Briefen von ausländischen Amtskollegen. Der Entlassene „sortiert Fanpost“, berichtet die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Maas steckt dagegen in der Bredouille: Anzeigen wegen Strafvereitelung, die gegen ihn gestellt wurden, werden derzeit von der Berliner Justiz geprüft. Gleichzeitig wächst die Kritik an dem Vorgehen des SPD-Politikers. „Auch das Weisungsrecht hat Grenzen“, sagte der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes, Christoph Frank, Spiegel Online. Bislang sei es schließlich Konsens gewesen, „daß über das Weisungsrecht jedenfalls nicht in einzelne Ermittlungsschritte hineinregiert wird – und schon gar nicht dadurch, daß man ein Beweismittel blockiert.“ Wenn Range von einer Weisung spreche, dann tue er dies nicht grundlos. Der Vorgang sei „jedenfalls ein weiterer Beleg dafür, daß das politische Weisungsrecht endlich abgeschafft werden sollte.“ Zudem spreche „einiges dafür, den Status des politischen Beamten auch beim Generalbundesanwalt zu beseitigen“.