© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 34/15 / 14. August 2015

Zwei Jungs aus gutem Hause
Terrorismus: In Celle stehen zwei IS-Rückkehrer aus Wolfsburg vor Gericht. Die Richter müssen unter anderem klären, ob die Männer zum Töten nach Syrien und in den Irak gegangen sind
Hinrich Rohbohm

Als Ayoub B. Saal 94 des Celler Oberlandesgerichts betritt, hält er sich einen Aktenordner vor das Gesicht. Es ist sein Schutzschild gegen die Foto- und Fernsehkameras, die auf ihn gerichtet sind. Ihn, einen mutmaßlichen ehemaligen Angehörigen der gewaltbereiten Wolfsburger IS-Terrorzelle, mit der er im Sommer vorigen Jahres in Syrien und im Irak gekämpft haben soll. Mit ihm vor Gericht steht Ebrahim H.B., ein etwas übergewichtiger Mann, dem manche aufgrund seiner etwas kindhaft wirkenden Gesichtszüge den Spitznamen „Babyface“ geben. Zu Verhandlungsbeginn imitiert er Beate Zschäpe, indem er wie die Angeklagte im Münchner NSU-Prozeß den Kameras den Rücken zuwendet.

Die Bundesanwaltschaft legt den beiden Männern die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zur Last. Weil er in IS-Ausbildungslagern an Kampftrainings mit Waffen teilgenommen haben soll wird Ayoub B. zudem beschuldigt, eine schwere staatsgefährdende Gewalttat vorbereitet zu haben. Ebrahim H.B. hingegen habe in Bagdad einen Selbstmordanschlag begehen sollen.

Entsprechend hoch sind die Sicherheitsvorkehrungen. Polizisten mit Maschinenpistolen und Schutzwesten stehen vor dem Gerichtsgebäude. Zuhörer und Journalisten müssen zwei Sicherheitsschleusen passieren, ehe sie in den Gerichtssaal gelangen. Ebenfalls mit Schutzwesten ausgerüstete Justizvollzugsbeamte sitzen hinter den Angeklagten, die ihre Aussagen aus einer Glaskabine heraus tätigen müssen.

Alles andere als ein gläubiger Moslem

Als die Kameraleute den Saal verlassen haben, nimmt Ayoub B. den Ordner vom Gesicht. Ein junger Mann mit dichten schwarzen Locken in weißem Oberhemd kommt zum Vorschein. Er blickt in Richtung Zuhörer, zwinkert einmal kurz und setzt ein breites Grinsen auf. Vielleicht aus Verachtung, vielleicht ist es aber auch einfach nur Unsicherheit. Er sei aufgeregt, sagt er zu Beginn seiner Aussage. Der 27 Jahre alte in Wolfsburg geborene Deutsch-Tunesier spricht fließend Deutsch, nur ein leichter Akzent ist herauszuhören. 2005 machte er seinen Realschulabschluß, später arbeitet er in der Vormontage bei Volkswagen. „Da habe ich 2.400 Euro netto verdient“, verkündet er später stolz.

B. entstammt einer angesehenen muslimischen Familie. Der Vater ist in der demokratischen Bewegung Tunesiens aktiv, sitzt im Vorstand einer als gemäßigt geltenden Wolfsburger Moschee und hat sich für seine Familie in der Stadt ein Haus gekauft. Dennoch gerät sein Sohn auf die schiefe Bahn, trinkt, kokst, wird spielsüchtig. Der Vater nimmt ihm deshalb die EC-Karte ab, gibt ihm Taschengeld nach Bedarf. Schließlich schmeißt er seinen Sohn zu Hause raus. Zu diesem Zeitpunkt sei er alles andere als ein gläubiger Moslem gewesen, sagt B. Zum Verhandlungsauftakt hatte sein Anwalt bereits eine persönliche Erklärung seines Mandanten verlesen, in der B. den Weg seiner Radikalisierung schildert. Es ist ein Albaner, ein Kollege bei VW, der ihn erstmals mit dem radikalen Islam in Verbindung gebracht habe. Der Albaner spricht ihn auf seine unislamische Lebensweise an. So etwas von einem Nicht-Araber, das habe ihn beeindruckt. B. hört auf zu trinken, auch mit Besuchen in den Spielcasinos ist Schluß. Er läßt sich einen Salafisten-Bart wachsen, nimmt an Koranverteilungsaktionen teil, besucht Veranstaltungen des islamistischen Konvertiten Pierre Vogel.

Und er lernt Yassin Oussaifi kennen. Ein Mann, der auf ihn und die Wolfsburger Islamistenszene maßgeblichen Einfluß ausgeübt habe. „Glauben Sie mir, Yassin ist ein sehr intelligenter Mensch, der hatte alles genau geplant“, versichert B. dem Gericht. Nicht nur auf Ayoub B. hatte sich der Einfluß des tunesischen Islamlehrers ausgewirkt. Zahlreiche weitere Wolfsburger Islamisten soll er dazu gebracht haben, nach Syrien zu reisen, um dem IS-Regime dienlich zu sein. „Nee, nee, laß mal in eine andere Moschee gehen“, hatten seine neuen „Freunde“ aus der Islamistenszene dem Angeklagten einst vorgeschlagen. B., inzwischen gläubig und wohl auch schon mehr als das geworden, habe zunächst die Moschee seines Vaters aufgesucht. Sein Vater warnte vor den Leuten, durchschaute offenbar die Pläne Oussaifis, der inzwischen für den IS als Scharia-Richter fungieren soll.

Seine neuen Freunde lotsten B. in die Wolfsburger Ditib-Moschee. Dort predigte Oussaifi. Hier hatte er bereits eine kleine Gemeinde junger Islamisten aufgebaut, die der Haßprediger im Laufe der Zeit zunehmend unter seinen Einfluß brachte. Rekrutiert wurden Leute, die Probleme hatten. Leute, wie Ayoub B. und Ebrahim H.B., deren Schwachstellen Oussaifi ausnutzte, um sie für den IS zu gewinnen. „Es war ein schleichender Prozeß der Indoktrination“, sagt B. heute.

Glaubt man den Ausführungen von B., so soll die von der türkischen Religionsbehörde Diyanet geführte Vereinigung nichts von den Haßpredigten Oussaifis gewußt haben. Seien Verantwortliche der Ditib-Moschee zugegen gewesen, so habe dieser bei seinen Reden schnell vom Haß- in den Harmlos-Modus geschaltet. Gleichzeitig macht der „Prediger“ seinen Schülern Versprechungen. Vier Frauen könnten sie beim IS haben, dazu ein „dickes Auto“ fahren.

Als Sanitäter auf dem Schlachtfeld

Autos und Frauen. Argumente, für die auch Ebrahim H.B. und Ayoub B. zugänglich waren. Und mit denen die beiden eigenen Aussagen zufolge in die türkisch-syrische Grenzregion gelockt wurden. „Yassin sagte mir, daß wir dort eine Islamschule besuchen würden und jederzeit wieder zurückkönnten.“ Wo die Schule war? B. sagt, er weiß es nicht. Wer aus Wolfsburg noch alles dabei war? B. sagt, er könne sich nicht erinnern. Aber er sagt auch, daß er niemanden verpfeifen wolle, um seine Familie nicht in Gefahr zu bringen.

Ähnliches war bereits von Ebrahim H.B. zu vernehmen. Der 26jährige hatte bereits vor Beginn der Hauptverhandlung dem NDR ein Interview gegeben, in dem er sich vom IS lossagte und vor dessen Methoden warnte. Statt in einer Islamschule fanden sich die beiden Angeklagten in einem IS-Ausbildungslager wieder. Geld und ihre Mobiltelefone mußten sie dem IS aushändigen, der ihr Leben fortan überwachte. „Am Ende wurden die knallhart“, erzählt B. Sie seien vor die Wahl gestellt worden: als Kämpfer für den IS in den Krieg ziehen oder sein Leben als Selbstmordattentäter opfern. Ayoub B. entschied sich für den Kampf, durchlief Trainingscamps, arbeitete als Sanitäter auf den Schlachtfeldern. Er habe Verletzte, Tote, Blut gesehen. Ebrahim H.B. wählte den Selbstmord als Auftrag aus. Insgeheim hätten sie jedoch beide nur noch einen Gedanken gehabt: Flucht. Ende August gelingt es ihnen, zurück nach Deutschland zu fliehen. „Alles war wieder gut, ich habe Silvester in Amsterdam gefeiert, und dann steckt man mich in Isolationshaft, schon 207 Tage“, beschwert sich B. Über seine Festnahme zu Beginn dieses Jahres.

Das jedenfalls ist die Version der Angeklagten. Die Bundesanwaltschaft hat daran ihre Zweifel. Schließlich verkehrte etwa Ayoub B. mit zahlreichen Anhängern der Wolfsburger IS-Terrorzelle. Er wußte: Seine „Freunde“ wollen nach Syrien gehen, um zu kämpfen. Entscheidend für das Urteil wird daher die Frage sein, welche Beweggründe für die Angeklagten zur Ausreise ausschlaggebend waren. Sollte das Gericht den Beschuldigten keinen Glauben schenken, drohen ihnen bis zu zehn Jahre Haft.

Foto: Die Angeklagten Ebrahim H.B. (l.) und Ayoub B. (mit Aktenordner) hinter Sicherheitsglas zu Beginn der Verhandlung vor dem Oberlandesgericht Celle: Den beiden Angeklagten drohen im Falle einer Verurteilung bis zu zehn Jahre Haft