© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 34/15 / 14. August 2015

Von wegen Angst vor der Atomkraft
Finnland: Helsinki sieht sich in seinem Mix aus erneuerbarer und Kernenergie auf der Erfolgsspur / Kooperation mit Rußland – aber nicht zu intensiv
Thomas Fasbender

Spannung bis zuletzt: Bis zum 6. August hatten die finnischen Gegner der Kernenergie gehofft. Dann konnte Ministerpräsident Juha Sipilä bestätigen: „Das Projekt wird umgesetzt. Die Investitionen liegen zu über 60 Prozent in der Hand von einheimischen Anteils-eignern, das ist genug.“

Damit hat die finnisch-russische Betreibergesellschaft Fennovoima grünes Licht für den Bau des Atomkraftwerks Hanhikivi-1 an der mittelfinnischen Ostseeküste. Die vom Parlament beschlossene Bedingung, wonach 60 Prozent der Projektanteile in finnischer Hand liegen müssen, wurde erfüllt. So sehr den Finnen die finanzielle Beteiligung der russischen Rosatom (hält über Auslandstöchter 34 Prozent) gelegen war, so wenig wollte Helsinki die Kontrolle aus der Hand geben.

Am Ende ging es nur noch darum, finnische Unternehmen zum Mitmachen zu motivieren. Am Vorabend der entscheidenden Kabinettssitzung war das Ziel erreicht. Der Energiekonzern Fortum (6,6 Prozent) beteiligt sich ebenso wie der Stahlhersteller Outokumpu (14 Prozent) und die Baufirma SRV (1,8 Prozent). Die Russen liefern den Reaktor und später die Brennelemente. Der Gesamtwert der Anlage liegt bei gut sechs Milliarden Euro.

Stromimport soll drastisch verringert werden  

Finnlands Verhältnis zur Kernenergie ist pur pragmatisch. Da ist es fast logisch, daß die finnische Energiepolitik andere Wege geht als die deutsche. In Sachen Klimaschutz ist Kernenergie jedenfalls kein Tabu. Abgesehen von Ländern mit hohem Wasserkraftanteil ist Finnland in Europa führend bei der kohlendioxid-armen Stromerzeugung. Das Ziel der Verringerung fossiler Brennstoffe steht ganz oben an.

Die Erfolge sind nicht von der Hand zu weisen: Im Vergleich zu Deutschland liegen die CO2-Emissionen je Kilowattstunde bei deutlich weniger als der Hälfte, der Anteil fossiler Brennstoffe an der Stromerzeugung ist wesentlich geringer, und die Strompreise sind nur halb so hoch. Gemessen an ihrer Ausgangslage – energieintensive Industrien und beschränkte Ressourcen – haben die Finnen einiges auf die Beine gestellt.

Anfangs ging das zu Lasten der Eigenversorgung; der Stromimport aus Schweden und Rußland stieg auf ein Fünftel des Verbrauchs. Hanhikivi-1 soll diesen Trend stoppen. Das Kraftwerk wird, wenn es 2024 in Betrieb geht, den Import auf unter 15 Prozent senken. Es ergänzt vier fast 40 Jahre alte Reaktoren, die nicht ganz ein Drittel des finnischen Strombedarfs decken: zwei sowjetische Blöcke in Loviisa mit westlicher Technik und zwei schwedisch-amerikanische Reaktoren in Olkiluoto. Ein weiterer Reaktor in Olkiluoto wird gerade gebaut. Die französische Areva NP und Siemens errichten dort einen Druckwasserreaktor, der 2017 ans Netz gehen soll.

Nach den Plänen der Betreiber sollen in Olkiluoto, Loviisa und Hanhikivi noch weitere Blöcke entstehen. Teils werden sie die Reaktoren der ersten Generation ersetzen, teils zusätzliche Kapazitäten schaffen. Manche Finnen träumen davon, daß ihr Land mittelfristig zum Stromexporteur wird.

Stimmungswandel gegen Kohle, Gas und Öl 

Ein Grund für die Pro-Atom-Mehrheit der Finnen ist die hohe Abhängigkeit von günstiger und sicherer Stromversorgung. Der Wohlstand des Landes basiert auf der stromintensiven Holz- und Zelluloseindustrie, die zudem weiter wächst. Entsprechend weit vorn liegen die Finnen beim Pro-Kopf-Verbrauch in Europa: rund 16.000 Kilowattstunden gegenüber rund 6.000 kWh im EU-Durchschnitt.

Das Hanhikivi-Projekt sieht einen russischen Druckwasserreaktor vom Typ WWER mit 1.200 Megawatt Leistung und einer Laufzeit von 60 Jahren vor. Für Rosatom, weltgrößter Hersteller von Nuklearkraftwerken, ist es der zwanzigste Auslandsauftrag. 37 Prozent aller weltweit in Bau befindlichen Meiler gehen auf das Konto des russischen Anbieters.

In Pyhäjoki, der Gemeinde, die den Standortwettbewerb um den neuen Meiler gewonnen hat, ergeben Umfragen eine stabile Zweidrittelmehrheit für das Projekt. Während der neun Jahre bis zur Inbetriebnahme sollen rund 2.000, gegen Ende des Jahrzehnts sogar 4.000 Arbeitsplätze entstehen. 450 Ingenieure beginnen mit der Schulung der künftigen Mitarbeiter. Im strukturschwachen Nordösterbotten sind auch die 500 dauerhaften Arbeitsplätze von Bedeutung – und nicht zuletzt die Steuereinnahmen von jährlich vier Millionen Euro.

Hinter der finnischen Pro-Atom-Politik steht ein einfaches Kalkül: Erneuerbare Energien werden nicht ausreichen, die fossile Stromerzeugung zu ersetzen. Gleichzeitig bewirkt die Angst vor drastischer Erderwärmung – ob anthropogen oder nicht – einen massiven Stimmungswandel gegen Kohle, Gas und Öl. Die Angst vor dem Atom tritt dabei in den Hintergrund.