© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 34/15 / 14. August 2015

Der Zug ist noch nicht abgefahren
Modellbahnmarkt: Fleischmann meldet Insolvenz an / Übernimmt Ausfallversicherung die Betriebsrenten
Jörg Fischer

Vorige Woche rollten Sonderzüge nach Köln, um den Besucheransturm auf dem Messegelände zu bewältigen. Hunderttausende wollten auch in diesem Jahr die weltweit größte Computerspielmesse Gamescom besuchen, deren Tageskarten schon Wochen zuvor ausverkauft waren. Unter dem Tema „Next Level of Entertainment“ zeige die Messe auf 193.000 Quadratmetern „so umfassend wie noch nie die gesamte Bandbreite des Unterhaltungsmediums der Zukunft“, jubelten die Veranstalter.

Nur 6.400 Quadratmetern groß ist das 2001 eröffnete „Miniatur Wunderland Hamburg“, die größte Modelleisenbahnanlage der Welt – aber mit bislang zwölf Millionen Besuchern erfolgreicher als die Gamescom. Lediglich 800 Quadratmeter mißt hingegen die Dauerausstellung mit Spielzeug und Modellbahnen der Gebrüder Fleischmann im Stadtmuseum Schwabach. Und als vorigen Mittwoch am Amtsgericht im benachbarten mittelfränkischen Ansbach die einst zweitgrößte deutsche Modellbahnfirma Insolvenz anmeldete, waren die Wirtschaftsmedien und selbst der GEZ-Kinderkanal längst auf der Kölner Trendschau: Der Computerspielemarkt setzte 2014 mit 2,67 Milliarden Euro mehr um als die Filmbranche in Deutschland und fast so viel wie der traditionelle Spielwarenmarkt.

Aber 450 Millionen von den über drei Milliarden gingen auf das Konto von ferngesteuertem Spielzeug und Modellbau. Der Großteil entfällt dabei immer noch auf Modellbahnen – trotz der spürbaren Umsatzeinbußen seit 2002. Schon seit den neunziger Jahren ist die eher mittelständische Branche im permanenten Wandel, aber nicht nur weil Jungs lieber „zocken“, statt mit Papas Eisenbahn zu spielen. Den Markt für reine Kinderbahnen mischen der dänische Milliarden-Konzern Lego und Playmobil auf, die Holzbahnen von Brio gehören seit diesem Jahr zur Ravensburger AG, Eichhorn schon seit 1998 zur Fürther Simba-Dickie-Group.

Die setzte voriges Jahr weltweit 602 Millionen Euro um und rettete 2013 auch den von Finanzinvestoren ausgesaugten Modellbahnmarktführer Märklin, der 2009 Insolvenz anmelden mußte. Zwölf Jahre zuvor hatte Märklin hingegen die ins Trudeln geratene Nürnberger Konkurrenz Trix und 2007 sogar noch die Lehmann-Garten-Bahn (LGB) übernommen. Der Hersteller Arnold ging schon 1995 in Konkurs und 1997 an Rivarossi. Der italienische Marktführer wurde 2003 selbst insolvent und 2004 vom britischen Wettbewerber Hornby aufgekauft.

Die Konkurrenz ist groß – und Fleischmann ist teuer

Fleischmann versuchte sich 1992 in kleinkindgerechten Spielzügen, doch der 2009 eingestellte „Magic Train“ paßte wohl nicht zur „Modellbahn für Profis“, die für teures, aber vorbildgetreues rollendes Material berühmt war. Eltern mit Kleinkindern griffen hingegen zur Fernseh-„Lokomotive Thomas“, die Hornby anbietet. Nach jahrelangem Umsatzschwund war 2008 Schluß mit dem seit 1887 inhabergeführten Unternehmen. Die Eigentümerfamilie um Seniorchef Horst und Juniorchef Rolf Fleischmann verkaufte an die deutsch-österreichische Modelleisenbahn Holding, zu der auch der 2005 insolvent gewordene Salzburger Hersteller Roco gehört

Von „hervorragenden Wachstums-chancen“ und einer „grundsoliden finanziellen Basis“ war damals die Rede, und anläßlich der diesjährigen Nürnberger Spielwarenmesse wurden von beiden Herstellern wieder Hunderte Neuheiten für die „Man’s World“ präsentiert. „Die Modelleisenbahn Gruppe ist der internationale Innovations- und Technologieführer der Branche“, man sei der europäische Marktführer im Segment Gleichstrom mit einem Marktanteil von 25 Prozent. „Der Umsatz 2014 betrug 50,5 Millionen Euro“, erklärte die Holding. Märklin kam jedoch auf 98 Millionen Euro – bei stabilem Gewinn.

Fleischmann selbst hat nach seinem Umzug von Nürnberg ins beschauliche Heilsbronn nur noch 33 Mitarbeiter – 2009 waren es noch 226 gewesen. Die Versilberung des angestammten Fleischmann-Areals in Nürnberg brachte 2010 wieder einen Millionengewinn. Inzwischen ist wohl nichts mehr zum Verkaufen da – außer den Fleischmann-Loks und -wagen mit dreistelligen Preisschildern. Der Insolvenzantrag soll die Firma von den Betriebsrenten für 600 Ex-Mitarbeiter befreien – doch wenn zu viele so denken, dann dürfte der Pensionssicherungsverein PSVaG bald an der Beitragsschraube drehen und dabei offenbaren, daß nicht nur die gesetzliche und private Altersvorsorge auf wackligen Füßen stehen, sondern auch viele Betriebsrenten. Wer behauptet, 33 Angestellte könnten nicht mehr die einst aus Lohnverzicht gespeisten Betriebsrenten erwirtschaften, vergißt, daß die Modelleisenbahn Holding insgesamt 750 Mitarbeiter beschäftigt – die meisten allerdings in der Slowakei und Rumänien.

Mit der Produktion in Europa sind Fleischmann und Roco fast eine Ausnahme. Märklin produziert seit 1993 im ungarischen Raab (Gyor), hat sein Werk dort 2014 erweitert und will sich ganz aus China zurückziehen – wohl nicht ganz freiwillig. Produktpiraterie gehört im Reich der Mitte zum Alltag, Werkzeuge und Gußformen machen sich öfter „selbständig“. Im Mai mußte beispielsweise der Auftragsfertiger Modern Gala in der Sonderwirtschaftszone Shenzhen nördlich von Hongkong schließen – und zahlreiche Firmen aus Deutschland, England, Japan oder Taiwan standen plötzlich ohne Produzenten da.

Wewitere deutsche Modellbahnanbieter:

 www.brawa.de

 www.piko.de

 www.tillig.com