© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 34/15 / 14. August 2015

„Ganz mutig, ganz toll“
Satire: Geheimprotokoll der ARD-Redaktionskonferenz nach dem Anja-Reschke-Kommentar zur Asylpolitik
Teo Lager

Am 5. August sprach die NDR-Journalistin Anja Reschke („Panorama“) in den ARD-„Tagesthemen“ einen Kommentar. Sie sagte, „die Gesellschaft“ dürfe Haßkommentare gegen Asylbewerber nicht länger tolerieren. Aber nicht nur das. Selbst harmlose Aussagen wie die Frage „Wie viele wollen wir noch aufnehmen?“ ordnete sie in die Kategorie der nicht hinnehmbaren Äußerungen ein. Die Reaktionen waren heftig und reichten von Kritik bis zu Begeisterungsstürmen des Feuilletons. Die JF hat herausgefunden, was sich wirklich nach der Sendung in der „Tagesthemen“-Redaktion abgespielt hat. Ein Protokoll:

Die studentische Hilfskraft hat eine Anmerkung

Redaktionsleiter: „So, dann bleibt noch der Kommentar von Anja.“

Freudig erregtes Stimmengewirr am Stehtisch. 

Redaktionsleiter: „Hey, hey, nicht alle auf einmal (schmunzelt), fang’ du an!“

Redaktionsmitglied eins: „Also, das war total mutig, Anja. Gerade jetzt brauchen wir so ein Zeichen für mehr Menschlichkeit und gegen Haß und so. Hut ab, Anja, ehrlich!“ 

Applaus.

Redaktionsmitglied zwei: „Also, das hat mich echt berührt, was du gesagt hast, Anja. Gesicht zeigen, darum geht es doch, gerade jetzt, und das hast du echt wunderbar gemacht, Anja. So viel Zivilcourage, Chapeau!“

Applaus.

Redaktionsmitglied drei (männlich, Anfang 50, Halbglatze, Unterhemd sichtbar, neben Anja Reschke stehend): „Also, ich möchte dazu auch noch was sagen. Das war wirklich toll, ne, und auch wie du das gemacht hast, Anja, so charmant (die Runde nickt). Und es war richtig mutig, und das brauchen wir jetzt, gerade jetzt, Gesicht zeigen, ne!“

Applaus, leicht schwächer als zuvor, da Redundanz erkennend, aber länger andauernd, da klarstellen wollend, daß sie das Gesagte ja nicht oft genug sagen können. Beim Verbeugen berührt Redaktionsmitglied drei Anja Reschke leicht. Versehentlich. 

Sekretariatsleiterin: „Bevor ich es vergesse, Frau Reschke, Sie müßten in Ihrer Abrechnung bitte den neuen Betrag eintragen, der Ihnen laut neuer ARD-Gebührenordnung zusteht, das sind jetzt 1.024 Euro. Sie tragen da noch immer zuwenig ein.“

Redaktionsmitglied vier: „Na, das zeigt halt, wie anständig unsere Anja ist!“

Die Runde lacht herzlich, denn das war ja witzig. 

„Und noch was, Frau Reschke, Sie dürfen am Monatsende auch all ihre Abrechnungen zusammenfassen, das empfiehlt sich immer für Leute wie Sie, die insgesamt einen hohen fünfstelligen Eurobetrag im Monat bei der ARD verdienen.“

Anja Reschke nickt. Die Runde atmet durch, jeder fühlt sich gut und sicher. 

Studentische Hilfskraft (nervös, männlich, nerdig): „Äh, Frau Reschke, Sie sagten im Kommentar, daß in Online-Kommentaren zur Vergasung von Flüchtlingen aufgerufen werde. Also, ich hab’ heute mal die einschlägigen bösen Seiten durchsucht, und na ja, da steht zwar hier und da schon mal was von ‘Pack’ drin und so, genau wie Sie es sagten, und das ist natürlich auch total schlimm, aber ‘vergasen’, das fand ich nirgendwo.“

Stille. 

„Also, ich will nicht ausschließen, daß so was vorkommt im Netz, doch auf den publikumsträchtigen Seiten, also ich habe da echt nichts dergleichen gefunden. Könnten Sie mir sagen, wo genau Sie das Wort ‘vergasen’ gefunden haben, Frau Reschke?“

Stille. Böse Blicke.

Studentische Hilfskraft (einen Zettel schwingend): „Äh, und ich wollte auch mal eine Anregung loswerden. Es gibt total viele Leute, die sich als gemeinnützig aufspielen, aber in Wahrheit auf dem Rücken der Flüchtlinge viel Geld verdienen, und es gibt im Rahmen der aktuellen Flüchtlingssituation viele Probleme, unter denen, äh, Einheimische in Deutschland leiden, also nicht nur Deutsche jetzt, sondern alle, die hier ihre Heimat haben, alle Einheimischen eben. Auf deren Rücken wird das Ganze oft ausgetragen, während wir hier es uns oft einfach machen. Wenn ich das mal so sagen darf.“

Stille. Redaktionsmitglied drei macht „tststs“. Redaktionsleiter: „Also, halten wir fest: das war ein Meilenstein, ein total mutiger Kommentar von Anja. Oder?“

Die Applaus-Provokation klappt, der größte Beifall des Abends brandet auf. Auch der Studenten-Nerd klatscht mit, aber das nützt ihm nichts mehr, die anderen wenden sich ab von ihm. Redaktionsleiter: „Gibt’s denn schon was in den sozialen Netzwerken?“

Redaktionsmitglied fünf: „Da steht noch nicht so viel. Ich häng’ mich gleich mal rein, damit das auch sofort verbreitet wird. Spätestens morgen früh dürfte es das Thema im Netz sein. Darüber können wir ja in Ruhe morgen früh mal sprechen, wenn wir die Quoten analysieren.“

Redaktionsleiter: „Gute Idee! Auf jeden Fall schon mal Focus Online Bescheid geben, ja?“

„Mach ich!“

Konferenz beendet. Alle verlassen einzeln das Gebäude, steigen in der Tiefgarage in ihre Wagen, daheim warten Rotweingläser und hohe Decken. Anja Reschke wirft im Auto einen Blick in den Rückspiegel und schenkt sich selbst ein Lächeln. Sie bekommt am Jahresende irgendeine Auszeichnung. Der Studenten-Nerd wird bald darauf hingewiesen, sich einen neuen Job zu suchen, da man bei den „Tagesthemen“ keine Leute haben wolle, die nur nachplappern. Redaktionsmitglied drei sitzt regelmäßig vorm PC und schaut sich die letzte von Anja Reschke moderierte Zapp-Folge in der Mediathek an. Manchmal berührt er dabei zart den Bildschirm. Einsam und ganz mutig!

Foto: Tagesthemen-Kommentatorin Anja Reschke: „Na gut, Idioten gibt es immer. Am besten ignorieren“