© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/15 / 21. August 2015

Aufgeschnappt
Barrierefreies Lesen
Matthias Bäkermann

Freie Sicht auf die dunkelgrünen Stahlregale der Bücherei, das ist momentan das Resultat einer Aussortierungsaktion im baden-württembergischen Bad Dürrheim. Entsetzt war nicht zuletzt die langjährige Büchereileiterin Regina Hofmann, als sie nach ihrem Urlaub nun die vom Regierungspräsidium exekutierte Maßnahme überraschte: 3.200 Bücher, also 40 Prozent der Bestandes, waren verschwunden. Dabei hatte die blonde Endfünfzigerin immer wieder den Bestand aufgefrischt, Jahr für Jahr etwa 500 beschädigte oder ungelesene Bücher und überholte Reise- und Rechtsliteratur gegen neue Titel ausgetauscht, wie Hofmann vergangenen Samstag im Südkurier darlegt. Viele Besucher zürnen jetzt gar über den „unheilbaren Schaden am kulturellen Leben der Stadt“. 

Während die städtische Behörde die kritisierte „Hauruck-Aktion“ als „Weg zu einer modernen Bücherei“ mit barrierefreien Zugängen schönredet, spricht Christina Kälberer, Bibliotheks-Verantwortliche im Freiburger Präsidium, Tacheles: Neben alter Rechtschreibung, vor allem in Kinderbüchern, habe sie es auf das „Wording“ abgesehen, was „nicht mehr zeitgemäße Begriffe“ wie zum Beispiel das Wort „Neger“ in älteren Büchern beschreibt. Dies Kriterium beförderte in Bad Dürrheim nun sogar Klassiker von Erich Kästner auf den Müll.