© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/15 / 21. August 2015

Sicheres Verlustgeschäft
Eurokrise: Das dritte Rettungspaket für Griechenland kostet statt 86 nun 92 Milliarden / Pleite nur aufgeschoben
Wolfgang Philipp

Die meisten Milliarden, die zur Verfügung gestellt werden, dienen nur dazu, alte Schulden zu bezahlen“, klagte Gregor Gysi vorigen Sonntag im Deutschlandfunk. „Es ist ein Kreislauf: Da müssen wieder neue Schulden gemacht werden, um die alten Schulden zu bezahlen, und das wird immer so weitergehen“, so der Linken-Fraktionschef. Auch 60 Unions-, vier SPD- und zwei grünen Bundestagsabgeordneten war dies bewußt, als sie am 17. Juli gegen den Überbrückungskredit stimmten, der es Griechenland ermöglichte, seine akuten Zahlungsverpflichtungen gegenüber dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Europäischen Zentralbank (EZB) zu erfüllen.

Die damals bereitgestellten 7,16 Milliarden Euro stammten aus dem vom EU-Haushalt finanzierten und eigentlich nur bis 2013 laufenden EU-Fonds EFSM (Europäischer Finanzstabilisierungsmechanismus). Bis Oktober müssen die EFSM-Milliarden von Athen zurückgezahlt werden. Das dürfte kein Problem werden, denn das für drei Jahre ausgelegte eigentliche dritte Euro-Rettungspaket für Griechenland ist nicht 86 Milliarden – wie noch im Juli behauptet – sondern 92 Milliarden Euro schwer. 

Die Kreditlaufzeit beträgt 32,5 Jahre, Zins- und Tilgungszahlung sind haushaltsabhängig. Die Milliarden fließen aber weder an griechische Beamte, Reeder oder Rentner: Mit 54 Milliarden sollen Altschulden und Zinsen bezahlt werden. Mindestens 25 Milliarden Euro fließen in die Rettung griechischer Banken. Der Rest soll offene Rechnungen des griechischen Staates begleichen.

Beteiligt sich der IWF nicht am dritten Griechenlandpaket und werden die im Juni verfallenen Milliarden aus dem zweiten Paket nicht reaktiviert, kommen die Gelder erstmals ausschließlich vom umstrittenen Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM). Dabei haftet Deutschland mit 27 Prozent – also mit 25 Milliarden Euro. Das ist etwa das Dreifache dessen, was beispielsweise in diesem Jahr im Bundesetat für Autobahnen und Bundesstraßen vorgesehen ist.

Nach einer Aufstellung des Bundes der Steuerzahler (BdSt) haben allein der IWF zur Zeit 21,3 Milliarden Euro und die EZB 27 Milliarden Euro Forderungen gegen Griechenland. Bei den 48 Milliarden Euro sind die sogenannten Target-Verbindlichkeiten der EZB nicht mitgerechnet. Laut Berechnungen des Münchner Ifo-Instituts lagen sie schon Ende April bei 99 Milliarden Euro.

Hätte Griechenland keine so brisante geostrategische Lage und wäre es kein EU- und Euro-Mitglied, wäre es längst zahlungsunfähig und damit insolvent – spätestens seitdem es die Anfang Juli fälligen 1,6 Milliarden Euro nicht an den IWF zahlen konnte. IWF und EZB müssen ihre Forderungen nicht abschreiben, denn erneut wird das zu Lasten der europäischen – und vor allem der deutschen Steuerzahler – verhindert.

Hilfe für den Staatshaushalt, nicht aber die Wirtschaft

Der IWF hat 188 Mitglieder, die EZB gehört den Zentralbanken der Euro-Gruppe. Deren Verluste wären beim deutschen Steuerzahler also nur teilweise angekommen. Durch die Zahlungen der Rettungsschirme wird jetzt das Risiko auf 27 Prozent erhöht. Die Schulden Griechenlands – laut Ifo im Juni 344 Milliarden Euro, also 83.000 Euro pro griechischem Privathaushalt – bleiben unverändert, nur die Gläubiger werden ausgewechselt. Einen „Rettungseffekt“ für Griechenland gibt es nicht.

Mit 25 Milliarden Euro sollen die insolvenzgefährdeten griechischen Banken rekapitalisiert werden. Diese Rettung kann aber nur funktionieren, wenn die Zahlungen zum Eigenkapital der Bank werden, also nicht zurückgezahlt werden müssen und können. Dieses Geld ist dann „weg“: sicherer Verlust für die deutschen Steuerzahler 6,75 Milliarden Euro. Das entspricht etwa den geplanten Bundesausgaben, die von 2016 bis 2018 zusätzlich in die digitale und Verkehrsinfrastruktur, den Hochwasserschutz oder Städtebau fließen sollen. Die neu entstehenden griechischen Bankaktien erhält nicht etwa der ESM, sondern der griechische Staat ist formell Schuldner der Rettungsschirme.

Eine echte Bankenrettung setzte voraus, daß die griechischen Sparer ihre abgezogenen Gelder in Höhe von rund 90 Milliarden Euro aus dem In- und Ausland wieder zurückbringen. Das werden diese Kunden kaum tun: Das griechische Parlament hat auf Weisung von Brüssel ein Banken-Sanierungsgesetz beschlossen, wonach Bankkunden auch bei nur drohender Insolvenz für die Schulden der Bank haften: Die Guthaben können über Nacht auf Null gestellt werden. Bei der Zypern-Krise blieben den Sparern und Firmen wenigstens 100.000 Euro. Alles darüber wurde „nur“ mit einer Zwangsabgabe von 40 Prozent belegt.

Die Heranziehung der griechischen Unternehmen zur Bankenrettung würde die Produktionskapazitäten des Landes zerstören, warnte Christian Noyer, Chef der französischen Zentralbank. Dabei soll das dritte Rettungspaket aber die griechische Wirtschaft ankurbeln. Dazu braucht es Investoren, Kunden – mehr Touristen. Doch die Euro-Retter haben die Griechen beispielsweise gezwungen, die Umsatzsteuer auf 23 Prozent zu erhöhen und damit fast zu verdoppeln. Gerettet wird damit allenfalls der Staatshaushalt, nicht aber die Wirtschaft.

Von Gysis Stellvertreterin Sahra Wagenknecht über US-Ökonomen bis zum IWF fordern nun viele einen Schuldenschnitt. Doch das würde bedeuten, daß sich Griechenland „wieder neu verschulden kann, zunächst beim IWF und dann vielleicht auch im privaten Sektor“, warnt Ifo-Chef Hans-Werner Sinn. Ohne einen Austritt aus der Währungsunion, „der allein die Fundamentalprobleme des Landes lösen kann“, so Sinn in der Süddeutschen, sei diese richtige Forderung aber „sinnlos“.

Der aktuelle Haftungspegel für die Euro-Rettungsmaßnahmen des Ifo-Instituts

 www.cesifo-group.de





Griechische Euro-Rettungspakete

Obwohl Griechenland die Konvergenzkriterien weder bei Inflation, Defizit, Wechselkursstabilität noch Zinssätzen erfüllte, wurde es 2001 mit einer Staatsverschuldungsquote von über 104 Prozent des Bruttoinlandsprodukts Euro-Mitglied. Die Weltfinanzkrise und die anschließende Bankenrettung katapultierte die Verschuldung zwischen 2007 und 2009 von 107 auf 130 Prozent. Im Frühjahr 2010 war Griechenland faktisch zahlungsunfähig. Damit die privaten Gläubiger – meist französische, deutsche, britische und US-Finanzinstitute – keine herben Verluste hinnehmen mußten, wurde das erste staatliche Rettungspaket geschnürt: 80 Milliarden Euro an bilateralen Krediten der Euro-Staaten und 30 Milliarden Euro vom IWF. 2012 folgte das zweite Rettungspaket: 144,5 vom ersten Euro-Rettungsfonds EFSF und 19,1 Milliarden Euro vom IWF. Das enthielt allerdings insgesamt 24,4 Milliarden Euro aus den nicht ausgezahlten Zusagen aus dem ersten Programm.

Dokumente zur Griechenland-Rettung: www.efsf.europa.eu/

Foto: Bundestagssondersitzung zum Überbrückungskredit für Griechenland: Deutschland haftet für die Euro-Rettungsgelder mit 27 Prozent