© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/15 / 21. August 2015

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weissmann

Nachdem sich im Zeichen der großen Wurstigkeit der Formwille sogar aus Kult und Militär zurückgezogen hat, bleibt nur noch die Wirtschaft mit Dresscode und Corporate Design. Auch das eine Signatur der Zeit.

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Bei den letzten Ausgrabungen im Umfeld von Stonehenge kam eine große Zahl von Artefakten aus der Zeit des Mesolithikums zutage. Das wirkt um so erstaunlicher, als die Megalithanlage in dieser Phase der Vorgeschichte noch gar nicht bestand, aber offensichtlich schon ein Versammlungsort für Jäger und Sammler aus verschiedenen Teilen Englands war, die dort wohl nicht nur gelegentlich zusammenkamen, sondern schon feste Wohnplätze errichteten. Das erinnert an Prozesse, die man ähnlich im steinzeitlichen Anatolien, bei Göbekli Tepe, vermutet, und die einerseits dafür sprechen, daß es keine Neolithische Revolution, also keinen abrupten Übergang zu Viehzucht und Ackerbau, gab, sondern einen gleitenden, und daß zweitens kultische Aspekte für den Prozeß eine erhebliche, wenn nicht die ausschlaggebende Rolle spielten.

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„Obwohl es nötig ist, bei dieser sensiblen Materie die Worte mit Bedacht zu verwenden, aufgrund ihrer emotionalen oder historischen Belastung, tritt bei dem Typ von aktuellem Problem, dem wir gegenüberstehen, an die Stelle der Immigration (‘Ankunft von Fremden, die sich im Land niederzulassen wünschen’) die Invasion (‘Vorgang des Eindringens, um sich abrupt festzusetzen …’)“, so Valéry Giscard d’Estaing, vormals französischer Staatspräsident, dann Chef der liberalen Partei UMP, in einem Artikel für das Figaro Magazine vom 21. September 1991.

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Der Text Giscard d’Estaings stand übrigens im Zusammenhang mit einer demoskopischen Erhebung, in der sich eine deutliche Mehrheit der befragten Franzosen für einen Stopp der Zuwanderung aussprach, radikale Beschränkung des Familienzuzugs, vor allem aus arabischen und afrikanischen Gebieten, klare Definition der nationalen als einer historischen und kulturellen Identität, Abschaffung des ius soli und Einführung des ius sanguinis. Das alles mit den erwartbaren Folgen: gar keinen.

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Opposition setzt zumindest eine Position voraus.

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Das Museum der Schönen Künste im bretonischen Quimper zeigt in diesem Sommer eine Ausstellung mit Werken von Alexandre Séon: ein in Deutschland kaum bekannter Symbolist zweiten Ranges, und bevor man noch seine Schlüsse aufgrund der fidusartigen Gestalten oder der an die Präraffaeliten gemahnenden Themen und Kompositionen gezogen hat, ahnt man den Wagner-Verehrer und angesichts der ersten Erfolge Séons in den Ausstellungen von Joséphin Péladans „Rose und Kreuz“ den Esoteriker. Péladan, genannt „Sar“, war einer der führenden Okkultisten im Paris des späten 19. Jahrhunderts und Erfinder der „Rosenkreuzer“. Er hat den eigentlichen weltanschaulichen Hintergrund moderner Kunst – nicht nur für seinen Freund Séon – unmißverständlich ausgedrückt: „Künstler, du bist Priester. Künstler, du bist König. Künstler, du bist Magier.“

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Bildungsbericht in loser Folge LXXVIII: „Es gibt keine faulen Schüler. Das Wort ‘faul’ dürfen wir nicht mehr verwenden.“ (Sebastian Renger, Geschäftsführer des Deutschen Zentrums für Begabungsforschung und Begabtenförderung)

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Es besteht zwischen der Agitation britischer Kommunisten, mit der sie die Illegalen am Kanaltunnel gegen die Polizei aufhetzen, der Ankündigung eines französischen Spitzenpolitikers aus den Reihen der sozialistischen Partei, für die Zuwanderer leerstehende Wohnungen und Häuser – ohne Ausnahme – zu requirieren und der Weigerung der grünen Politiker Kreuzbergs, Rechtssicherheit im Görlitzer Park zu gewährleisten, kein prinzipieller, nur ein gradueller Unterschied in bezug auf destruktive Tendenz und Entschlossenheit, sich objektiv wie eine fünfte Kolonne zu verhalten, deren Loyalität schon einer fremden Macht gilt, von der man annimmt, daß sie zukünftig das Sagen haben wird. Die Vorstellung einer Paria-Elite hat die Linke immer fasziniert und im letzten geeint.

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Ewig schade, daß die Titelrechte für „Opportunismus und Repression“ schon vergeben sind.

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Der Entschluß, das Versanden der Bucht des Mont-Saint-Michel aufzuhalten und die immer weiter wachsende Menge der Besucher vor dem Ort des Geschehens umzulenken und zur Benutzung schadstoffarmer Transportmittel – Ökobus oder Pferdewagen – zu zwingen, hat sicher viel für sich. Trotzdem wird man den Eindruck der fortschreitenden Disneylandisierung nicht los, und eine gewisse Sehnsucht nach der alten Chaotik, mühseligen Erreichbarkeit und Unaufgeräumtheit macht sich bemerkbar.

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 4. September in der JF-Ausgabe 37/15.