© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/15 / 21. August 2015

Sie vertreten abweichende Positionen
Blogs: Die vier wichtigsten Journalisten aus dem Mainstream, die eigene lesenswerte Internetseiten betreiben
Ronald Berthold

Ob zur Zuwanderung, zum Euro, zur Homo-Ehe oder zur Ener-giewende: In den deutschen Leitmedien gibt es dazu fast ausschließlich nur noch eine Meinung. Abweichler werden nicht selten ignoriert, diffamiert und lächerlich gemacht. 

Echte Debatten mit einem leidenschaftlichen Pro und Kontra über solche in der Leserschaft hochumstrittenen Fragen finden im Journalismus nicht statt. 

Neu ist das Abomodell,

bei dem der Kunde mietet

Wenn abweichende Positionen zu Wort kommen, dann meist um einen Exoten oder einen Prügelknaben vorzuführen, an dem sich – wie oft in Talkshows – die anderen politisch Korrekten abarbeiten dürfen. 

Mehr als, wenn überhaupt, Feigenblätter eines vorgeblichen Pluralismus sind liberale oder konservative Publizisten nicht mehr. Einmal in der Woche oder im Monat dürfen sie in wenigen Medien eine Kolumne veröffentlichen, die dann häufig sofort durch andere Berichte konterkariert wird.

Um überhaupt noch die eigene Meinung dezidiert vertreten zu können, flüchten sich immer mehr Journalisten in eigene Blogs. Dort setzen sie ihre eigenen Themen und diskutieren offen mit ihren Lesern. Eine Zensur findet nicht statt. Die JUNGE FREIHEIT stellt vier der erfolgreichsten kostenfreien, liberal-konservativen Autorenblogs und deren Macher – allesamt erfahrene Journalisten – vor.





Roland Tichy

Als Roland Tichy noch die Wirtschaftswoche leitete, da lernten die Leser auch mal unangepaßte Meinungen zur Euro-Debatte kennen. Inzwischen, nachdem er dort vor elf Monaten als Chefredakteur abgelöst wurde, müssen sie dafür seinen Blog „Tichys Einblick“ aufrufen. Täglich bringen er und seine 23köpfige Mannschaft (unter anderem Bettina Röhl, Hugo Müller-Vogg, Thomas Spahn) dort die Dinge gegen den Strich gebürstet auf den Punkt. Tichy glänzt dabei auch mit hintergründigen Erklärungen sowohl zur Wirtschafts- als auch zur Sozialpolitik. Seinen Blog nennt er im Untertitel „liberal-konservative Meinungsseite“. Der 59jährige zeichnete nicht nur ein differenziertes Bild von Pegida, sondern setzte sich auch ernsthaft, fast wohlwollend, mit dem auf den Demonstrationen erhobenen Vorwurf der „Lügenpresse“ auseinander.

Doppelplusgut. Roland Tichy und weitere Autoren bringen es auf den Punkt.

 www.rolandtichy.de

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Nicolaus Fest

Jahrelang schienen die Fußstapfen seines Vaters Joachim ein wenig zu groß für Nicolaus Fest. Der Mann von Bild tat sich nicht mit intellektuellen oder gar inkorrekten Texten hervor. Auch in persönlichen Gesprächen argumentierte er eifrig gegen vom Mainstream abweichende Positionen. Doch irgendwann platzte dem stellvertretenden Chefredakteur der Kragen. Er erklärte in einem Kommentar den radikalen Islam für nicht integrierbar in eine freie Gesellschaft. Das reichte. Springer distanzierte sich, und schließlich trennte sich  der Verlag 2014 von ihm. Seitdem schreibt er auf seinem Blog „Nicolaus Fest“ kluge und mutige Texte zu verschiedenen Themen. Daß dem 53jährigen die Fesseln eines großen Verlagshauses abgenommen wurden, führte zu einer echten Befreiung – ganz nach dem Geschmack seiner Leser. 

Endlich frei. Nicolaus Fest ganz allein, aber ohne Vorgaben von „Bild“.

 http://nicolaus-fest.de

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Günther Lachmann

Bei Welt Online ist Günther Lachmann für die AfD zuständig. Die übermäßig vielen Klicks, die er mit seiner darstellenden und keineswegs diffamierenden Berichterstattung gerade zu Zeiten der Parteigründung erntete, brachten dem 54ährigen redaktionelle Freiheiten. So konnte er unaufgeregt berichten. Schon vor zehn Jahren warnte Lachmann mit dem gleichnamigen Buch vor der „Tödlichen Toleranz“ gegenüber dem Islam. Zwischenzeitlich baute der Chefreporter seinen Blog Geolitico auf. Er und 15 weitere Autoren schreiben dort über die „Krise der Demokratie“. Politische Korrektheit wird dabei weder von Lachmann noch von seinen Lesern goutiert. Daß er bei der Recherche die in der Branche üblichen Scheuklappen abnehmen kann, bewies Lachmann auch mit seinem Buch über die DDR-Vergangenheit Angela Merkels.

AfD-Spezialist. Günther Lachmann ist auf nonkonforme Themen spezialisiert.

 www.geolitico.de

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Klaus Kelle

Klaus Kelle ist ein Mann des Hörfunks. Auch wenn er beim Westfalen-Blatt begann, so nahm seine Laufbahn als Vize-Chefredakteur von Radio Hundert,6 erst richtig Fahrt auf. Später wurde er Chef des Berliner Rundfunks. Heute gehört Kelle zu den bekanntesten konservativen Kolumnisten. Er hatte feste Rubriken bei Focus Online und der Rheinischen Post. Zwar schreibt er dort auch heute noch hin und wieder, zum Beispiel „Tut endlich etwas gegen gewaltbereite Migranten“, doch das reicht dem 56jährigen nicht. Seit rund einem Jahr betreibt er seinen Blog Denken erwünscht. Nach neun Monaten durchbrach er die 100.000-Klick-Marke und freute sich, „daß es tatsächlich eine erhebliche Nachfrage nach politisch unkorrekten Ansichten in Deutschland gibt, die aus der berühmten Mitte der Gesellschaft geäußert werden“.

Vordenker. Klaus Kelle kommt vom Radio, ist aber auch ein guter Kolumnist.

 www.denken-erwuenscht.com

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