© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/15 / 21. August 2015

Morden unter falscher Flagge
Verheimlichte Kriegsverbrechen der britischen Marine im Ersten Weltkrieg: Die Verantwortlichen der „U-Boot-Fallen“ erhielten sogar Prämien
Jan von Flocken

Das deutsche Unterseeboot U 27 unter dem Kommando von Kapitänleutnant Bernhard Wegener sichtete am 19. August 1915 etwa 160 Kilometer südlich der irischen Stadt Queenstown ein feindliches Handelsschiff. Die „Nicosian“ (6.400 Bruttoregistertonnen) hatte die britische Flagge gehißt. Gemäß dem damals geltenden Seerecht, der sogenannten Prisenordnung, ließ Kapitänleutnant Wegener auftauchen, forderte die „Nicosian“ zum Stopp auf und entsandte ein Prisenkommando an Bord, um die Ladung zu inspizieren. Es handelte sich um Gewehrmunition sowie 250 Maultiere für die britische Armee.

Die Besatzung der „Nicosian“, darunter auch einige US-amerikanische Seeleute, ging in die Rettungsboote; der Dampfer sollte von U 27 durch Granatschüsse in die Wasserlinie versenkt werden, denn Torpedos waren 1915 noch zu kostspielig, um sie gegen ein eher kleines Ziel einzusetzen. Inzwischen näherte sich ein weiteres Handelsschiff, das die US-Flagge gesetzt hatte und ein US-Hoheitszeichen an der Bordwand trug. Da die Vereinigten Staaten von Amerika damals noch neutral waren und alle deutschen U-Boot-Kommandanten strikte Order hatten, neutrale Schiffe nicht anzugreifen, erfolgte von U 27 keine Reaktion. Alles sah so aus, als wollte der Amerikaner die Männer der „Nicosian“ in den Rettungsbooten an Bord nehmen.

Britische Marineführung ließ das Logbuch vernichten

Doch als zwischen U-Boot und Dampfer kaum noch 600 Meter lagen, wurden Stars and Stripes niedergeholt und der vermeintlich neutrale Frachter entpuppte sich als das britische Kriegsschiff „HMS Baralong“, eine sogenannte U-Boot-Falle („Q-Ship“). Die Londoner Admiralität griff seit Monaten zu dieser Maßnahme, weil man gegen die überraschend effektiven U-Boote der Kaiserlichen Marine keine legalen Mittel mehr wußte.

Nach 34 Schuß aus den bis dato getarnten drei 7,6-cm-Bordkanonen der „Baralong“ sank U 27 in kürzester Zeit. „Nachdem das U-Boot von der Wasseroberfläche verschwunden war, griff die Besatzung der ‘Baralong’ zu Gewehren und Pistolen und begann auf die wenigen von U 27 noch Übriggebliebenen im Wasser mit den Handfeuerwaffen zu schießen. Einigen gelang es, sich auf den noch schwimmenden Dampfer ‘Nicosian’ zu retten. Aber auch das dauerte nicht lange. Sie wurden dort von den Verfolgern aufgespürt, die den Wehrlosen das Schicksal ihrer im Wasser erschossenen Kameraden bereiteten, damit auch nicht einer von der ganzen Besatzung des U-Boots davonkommen sollte“, heißt es in den eidesstattlichen Erklärungen von sechs US-amerikanischen Besatzungsmitgliedern der „Nicosian“. Zwölf überlebende deutsche U-Boot-Männer, unter ihnen Kapitänleutnant Wegener, wurden von den Briten erschossen.

Verantwortlich für dieses Kriegsverbrechen war der „Baralong“-Kommandant, Kapitänleutnant Godfrey Herbert. Er hatte die Schüsse auf die im Wasser treibenden Männer ausdrücklich befohlen. Bevor mehrere Soldaten der britischen Marineinfanterie an Bord der „Nicosian“ gingen, sagte Herbert ihrem Kommandeur Corporal Collins unmißverständlich: „Machen Sie keine Gefangenen!“ Er wurde für diese Mordtaten nie zur Verantwortung gezogen – im Gegenteil, er kassierte noch die übliche Versenkungsprämie für ein U-Boot in Höhe von 100 Pfund (etwa 2.000 Reichsmark). Die Besatzung bekam für ihr schändliches Verhalten eine Kopfprämie von 185 Pfund.

Ein Rest schlechten Gewissens zeigte die britische Marineführung. Der Name „Baralong“ wurde aus Lloyds Schiffsregister gelöscht. Man nannte den Dampfer in „HMS Wyandra“, um und Godfrey Herbert blieb weiter als Kommandant an Bord. Das Logbuch der „Nicosian“ wurde vernichtet, und das Schiff bekam den neuen Namen „Nevisian“. Als interne Begründung hieß es, man wolle sie „vor jeglichen Repressalien gegen ihre Besatzungen schützen“.

Kapitänleutnant Herbert, der übrigens auch während des Zweiten Weltkriegs sein Unwesen auf den Weltmeeren trieb, ging mit seinem Q-Ship weiter auf die Jagd. Am 24. September 1915 fiel ihm westlich der Scilly-Inseln das deutsche Unterseeboot U 41 zum Opfer, das gerade ein britisches Frachtschiff gemäß Prisenordnung versenkt hatte. Wieder mißbrauchte Herbert die US-Flagge und ließ aus kurzer Distanz das Feuer eröffnen. Bis auf zwei Offiziere kam die gesamte Mannschaft von U 41 ums Leben. In seinem „Seekriegswerk“ schrieb Konteradmiral Arno Spindler: „Dies war die zweite Kriegstat des englischen Q-Schiffes Baralong, das inzwischen seinen Namen, aber nicht den Charakter seiner Besatzung gewechselt hatte.“