© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 36/15 / 28. August 2015

Unrecht im Rechtsstaat
Gedenktag: Die „Bodenreform“ vor 70 Jahren muß endlich aufgearbeitet werden
Manfred von Schwerin

Auf freier Scholle – Die Bodenreform als notwendiger und richtiger Weg“. Das ist nicht etwa das Motto für ein uraltes SED-Propaganda-Flugblatt. Vielmehr steht dieses Motto in einem Flyer, mit dem die Linkspartei im Jahr 2015 zur Würdigung der „historischen Ereignisse im Nachkriegsherbst 1945“ einlädt. 

Mancher traut seinen Augen nicht: 25 Jahre nach dem Ende der DDR bemühen führende und einflußreiche Vertreter der in Brandenburg mitregierenden Linkspartei weiterhin die bekannten SED-Klischees und versuchen, das Geschehen von 1945 und danach schönzureden, zu verharmlosen. Was wirklich während der großen Umwälzung ab 1945 geschah, wird ausgeblendet: die Existenznot der Vertriebenen, die ohne Vieh und Gerät auf  nur wenigen Hektar Land – das sie übrigens auch noch bezahlen mußten – einen Neuanfang suchten, um  sieben Jahre später schon in die Zwangskollektivierung gezwungen zu werden. Das war also die „freie Scholle“ für die SED.

Ausgeblendet werden auch seit 25 Jahren von den Rechtfertigern der „Boden- und Industriereform“ – übrigens nicht nur von den SED-Nachfolgern in den jungen Ländern – die zum Himmel schreienden Verletzungen der Menschenrechte bei der Unsetzung der Enteignungen. Bis heute sucht man zumindest Worte des Bedauerns vergebens für die Verfolgung, Vertreibung, Inhaftierung und Ermordung Abertausender unschuldiger Landwirte und Bauern sowie anderer, die als politisch mißliebig oder als potentielle Gegner angesehen wurden. Das Äußerste, was zu hören war: Es sei wohl auch schon mal während der „Bodenreform“ und deren Umsetzung „Unrecht passiert“. Nach dem Motto: Wo gehobelt wird, da fallen Späne. 

Ein besonders trauriges, in der Öffentlichkeit wenig bekanntes Kapitel ist das Schicksal unzähliger „Bodenreform“-Opfer, die in den zehn berüchtigten Speziallagern in der Sowjetischen Besatzungszone ohne Rechtsschutz gefangengehalten wurden oder gar zu Tode kamen. Nach der Wiedervereinigung 1990 hätte es viele Gelegenheiten zur Rehabilitierung der Verfolgten und zu einer Wiedergutmachung gegeben, die den Aufbau in der ehemaligen DDR geradezu beflügelt hätte. Der Einigungsvertrag ist jedoch in wesentlichen Punkten bis heute nicht umgesetzt, zum Teil sogar konterkariert worden. 

Wie sind heute vor dem Hintergrund des Gedenktages 2015 zeitgemäße Ziele und Aufgaben zu formulieren und mit Augenmaß so zu realisieren, daß dem so beschädigten und zunehmend bedrohten  Rechtsstaat konkret zur Kurskorrektur verholfen wird? Zunächst ist in Verantwortung für die Opfer der kommunistischen Diktatur ab 1945 den seit einigen Jahren verstärkten Bestrebungen zur Verharmlosung oder Verklärung des SED-Regimes  entschieden entgegenzutreten. 

Sie kommen, geschickt verbunden mit Restaurationstendenzen, aus dem linksextremen, DDR-Altkader- und Nomenklatura-Spektrum. Brandenburg und Thüringen sind die deutlichen Vorreiter. Weiterhin sind die „leeren Felder“ der Aufklärung und Aufarbeitung, insbesondere in Schulen und Bildungseinrichtungen aktiver als bisher zu bearbeiten. Dabei können viele neuere Forschungsergebnisse und Dokumente herangezogen werden. Diese Arbeit muß notfalls auch ohne staatliche Unterstützung laufen. Denn der Wille zur echten Aufklärung ist nicht überall zu spüren.

Eine Aufarbeitung besonderer Art müßte jetzt durch rechtliche Verfolgung von Fällen geschaffen werden, die der Korrektur nachweislich falscher Entscheidungen der obersten Gerichte dienen. Hier sind die juristisch-historische Forschung und Ermittlung bereits weit vorgestoßen und haben konkrete Grundlagen für die Wiederaufnahme von Rehabilitierungsverfahren geschaffen.

Die kommunistische „Bodenreform“ hat ihren von Stalin inspirierten Tätern kein Glück gebracht, sie hat im Gegenteil mit dem schnellen Übergang zur Zwangskollektivierung den Weg zum Mauerbau mit geebnet. Die DDR-Agrarpolitik mit ihren Megabetrieben und deren teilweise nahtlose Übergang in die postkommunistische Zeit hat den ländliche Räume der Ex-DDR in eine Dauerkrise gestürzt. Sie konnte nur durch ein gigantisches Beihilfen- sprich: Subventionssystem verdeckt werden, das irgendwann gegen die Wand fahren wird. Spätestens dann, wenn die EU nicht mehr bereit ist, die Hälfte ihres Milliardenbudgets allein in eine Landwirtschaft ohne Zukunftsperspektive zu pumpen, in das sprichwörtliche Faß ohne Boden.

Der Begriff „Bodenreform“ mit seiner verfälschenden Sinngebung, von der KPD/SED-Führung erfunden und sogar vom Bundesverfassungsgericht als Worthülse verwendet und schließlich in den Sprachgebrauch übernommen, wird vielleicht in den nächsten Jahren als „europäische Agrarreform“ wieder aufs Tapet kommen. Dies ist ein Blick in die  Zukunft, letztlich aber doch eine Spätfolge der Umwälzung, die vor 70 Jahren, im September 1945, in Gang gesetzt wurde.

Was momentan auf dem Agrarland in den jungen Bundesländern geschieht – etwa der Einstieg industrieller Investoren und ein damit verbundener Anstieg der Bodenpreise –  ist durch diese Vorgeschichte ausgelöst und könnte sich in absehbarer Zeit zu einer neuen, allerdings fragwürdigen Art von „Bodenreform“ entwickeln. Manches spricht dafür, daß der Fluch der bösen Tat von 1945 über die Gegenwart hinaus weiter seine langen Schatten werfen wird.






Manfred Graf von Schwerin ist Bundesvorsitzender der Aktionsgemeinschaft Recht und Eigentum, Allianz für Rechtsstaat und Erneuerung (ARE e.V.)

 www.are-org.de