© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 36/15 / 28. August 2015

IS in Bedrängnis
Kampf gegen den Islamischen Staat: Während die USA und ihre Alliierten ihre Erfolge feiern, sorgt der Kalifatsstaat mit Bildersturm für Aufsehen
Marc Zoellner

Die Nachricht von Fadel Ahmed al-Hiyalis Tod verbreitete sich wie ein Lauffeuer im Irak: In Mossul sei er vergangenen Dienstag gestorben, verkündeten die Leitmedien des Zweistromlands aufgeregt. Eine Drohne der US-Luftwaffe habe ihn in der Dreimillionenstadt in der Provinz Ninive an der irakisch-syrischen Grenze lokalisiert und anschließend ausgeschaltet. Daß das Oberkommando der US-Streitkräfte die Eliminierung al-Hiyalis kurz darauf bestätigen konnte, ließ unter den Irakern landesweit Hoffnung aufkeimen.

Denn al-Hiyali war beileibe kein Unbekannter. Bereits seit 1990 war er als Oberstleutnant aktiv an den Kampfhandlungen der letzten beiden Golfkriege beteiligt, hatte sich unter Saddam Hussein sowohl im Militärgeheimdienst als auch in der Republikanischen Garde Rang und Namen erworben. 

Nach dem Sturz Saddams im April 2003 sowie kurzer Zeit im irakischen Untergrund saß er ab 2004 im US-Kriegsgefangenenlager von Camp Bucca ein. Eine fatale Schicksalsfügung: Denn einer seiner Lagergenossen war kein Geringerer als Abu Bakr al-Baghdadi, der spätere selbsternannte Kalif des Islamischen Staats (IS). Unter al-Baghdadis Leitung avancierte al-Hiyali bereits im April 2013 zum Stellvertreter im Irak und somit, gemeinsam mit Abu Ali al-Anbari, dem Repräsentanten al-Baghdadis in den syrischen Provinzen, zu dessen rechter Hand.

Mit der Liquidierung al-Hiyalis, der Nummer zwei in der Hierarchie der Terrormiliz, fast punktgenau zum ersten Jahrestag des Beginns der Bombardierung des IS durch die alliierten Streitkräfte hätte den US-Amerikanern kaum ein passenderer Coup zur besseren Zeit gelingen können. Der Tod al-Hiyalis „wird die Funktionsfähigkeit des IS nachteilig beeinflussen“, verkündete Ned Price, der Sprecher des Weißen Hauses, Ende vergangener Woche stolz auf einer Pressekonferenz. „Denn sein Einfluß umfaßte sowohl die Finanzen als auch die Medien, den militärischen Einsatz sowie die Logistik des IS.“

Ihre Luftangriffe haben sich allein die Vereinigten Staaten schon dreieinhalb Milliarden US-Dollar kosten lassen. Im Rahmen der mittlerweile 62 Staaten zählenden Anti-IS-Allianz wurden bei etwa 20.000 Flügen seit vergangenem August über 15.000 Kämpfer des Kalifats getötet, unzählige Fahrzeuge zerstört, eine Vielzahl an strategisch wichtigen Bunkern, Ausbildungslagern und Kommandoposten geschleift. 

Rückzug des IS hinterläßt verbrannte Erde  

Mit Hilfe der alliierten Luftunterstützung gelang es den kurdischen Widerständlern in Syrien, in den Sommermonaten eine Landfläche von rund 5.300 Quadratkilometern, gut der zweifachen Größe des Saarlands, zurückzuerobern. „Und im Irak“, berichtete Pentagon-Sprecherin Elissa Smith dem Nachrichtenmagazin Vice, habe der Islamische Staat in „30 Prozent seines bewohnten Gebiets die Möglichkeit eingebüßt, sich frei bewegen zu können.“

Tatsächlich gerät der Islamische Staat in Bedrängnis. Davon zeugen nicht nur die zwanghaften Manöver der radikalislamischen Miliz, auf vom Epizentrum des eigentlichen Konflikts entfernte Schlachtfelder wie jene in Afghanistan und im Norden Nigerias auszuweichen, sowie die Konsolidierung neuer, sicherer Rückzugsgebiete, beispielsweise in der libyschen Hafenstadt Sirte, welche seit Februar 2015 unter der Herrschaft des Kalifats steht.

Auch die am 18. August erfolgte Ermordung des Archäologen Khaled Assad, der seit 1963 für die antiken Kulturstätten im syrischen Palmyra verantwortlich war, sowie die darauf folgende Zerstörung des von der Unesco 1980 dank Assads Wirken zum Weltkulturerbe erklärten Tempels von Baalschamin stellen deutliche Anzeichen für eine zunehmende Flucht der Terroristen in die Defensive dar. Denn anders als beim Bildersturm der Taliban auf die Buddha-Statuen von Bamiyan im März 2001 erfolgte die zivilisationsferne Verwüstung Palmyras durch den Islamischen Staat diesen Monat nicht als pure Demonstration ihres eigenen gefestigten Einflusses.

Vielmehr läßt der IS der Allianz damit eine unüberhörbare Botschaft zukommen, daß er willens ist, auf seinem erzwungenen Rückzug nichts als verbrannte Erde zu hinterlassen. 

Doch zeitgleich mit der Tötung al-Hiyalis legt sich die Schlinge immer enger um den Kopf des IS: Im erbittert umkämpften Ramadi konnte die irakische Armee die Einnahme der ersten Straßenzeilen vermelden. Kurdische Peschmerga rücken weiter auf Mossul vor. 

Iraker geben USA Haupschuld an der Lage 

Neben der US-geführten Koalition kündigt sich auch ein neues Bündnis auf dem Schlachtfeld gegen das Kalifat an – spezifisch die Mitte August ins Leben gerufene russisch-iranische Allianz. „Das Wiener Abkommen über Irans Atomprogramm“, so das Moskauer Außenministerium gegenüber der Nachrichtenagentur Tass, helfe dabei, die „Anstrengungen beider Staaten enger zu koordinieren und den gemeinsamen Kampf gegen die terroristische Bedrohung, welche vom IS sowie anderen Extremistengruppen ausgeht, aufzunehmen.“

Nicht wenige Iraker betrachten die Ankündigung des Kreml mit Wohlwollen, wie eine aktuelle Umfrage des britischen Instituts ArabTrans bestätigt. Zwar genießt der Iran gerade unter den Sunniten des Landes keine großen Sympathien und wird von rund 60 Prozent der befragten Gesamtbevölkerung als einer der Gründe für die Instabilität ihrer Nation benannt. Moskau jedoch trauen gut 43 Prozent der Iraker, allerdings auch nur 24 Prozent der Sunniten zu, im Zweistromland politisch für Stabilität sorgen zu können. Trotz ihrer massiven Bemühungen schneiden in der gleichen Studie hingegen die USA schlecht ab: Beinahe 73 Prozent der Befragten gaben den USA die Grundschuld für die derzeit mißliche Lage ihrer Nation.