© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 36/15 / 28. August 2015

Deutsch-deutsche Übernahmeschlacht
K+S Gruppe: Der kanadische Konzern Potash will das Dax-Unternehmen schlucken / Der Bruch des Kali-Kartells und seine Folgen
Thomas Fasbender

Norbert Steiner wird kämpfen. Der Jurist und frühere BASF-Manager sei keiner, der sich an die Seite schieben lasse, sagen die Freunde des 60jährigen Vorstandsvorsitzenden der Kasseler K+S AG. Und in der Tat, die Vokabel „kämpfen“ paßt, denn die Mineraldüngerbranche durchlebt seit zwei Jahren einen kolossalen Umbruch. Im Juni kam es zu einem neuen Höhepunkt: Der kanadische Branchenriese Potash Corp kündigte ein Kaufangebot zu 41 Euro je K+S-Aktie an – da notierte das Dax-Papier bei 29 Euro.

Überkapazitäten auf dem Kali-Weltmarkt

Steiners Rivale in dem seither tobenden Übernahmekampf ist ebenfalls ein Deutscher, Potash-Chef Jochen Tilk. Der 64jährige Aachener Diplomingenieur und passionierte Ausdauerläufer  sitzt in Kanada und sagt, er suche den „konstruktiven Dialog“ mit den Kollegen in Kassel. Ein Business Combination Agreement hat er vorgelegt, einen Vorschlag, wie Potash und die vor 126 Jahren gegründete K+S ihre Geschäfte zusammenlegen könnten.

Von all dem mag man bei K+S nichts hören. 41 Euro seien definitiv zuwenig, heißt es, zumal das entscheidende Asset nicht angemessen berücksichtigt sei: die neue Kaligrube namens Legacy direkt vor der Haustür der Kanadier in deren Prärieprovinz Saskatchewan. Dort plant K+S ab 2016 mindestens zwei Millionen Tonnen zu fördern, und das Jahr für Jahr – zusätzliche fünf Prozent in einem heute schon von Überkapazitäten gedrückten Weltmarkt.

So sehen es jedenfalls die Kanadier. Für K+S ist die Legacy-Mine mit ihren – für Kanada typischen – niedrigen Gestehungskosten der Rettungsanker. Rund 230 US-Dollar zahlt K+S derzeit für die Förderung einer Tonne Kalisalz; Potash bringt das gleiche Volumen für 95 Dollar aus dem Boden. Die krasse Differenz war viele Jahre lang kein Problem; bei einem Marktpreis um 400 Dollar hatten alle Produzenten ihr Auskommen. Die stabilen Verhältnisse garantierte ein Oligopol aus zwei Vertriebskartellen, einem russisch-weißrussischen (Uralkali, Belaruskali) und dem kanadischen Canpotex (Potash, Agrium, Mosaic). Die beiden beherrschen 70 Prozent des Kali-Weltmarkts. Den beiden Kartellen verdankte der Markt die hohen Preise und die Investoren satte Renditen. 

Bis der damals 41jährige Ex-ABB-Manager Wladislaw Baumgertner, seit 2011 Chef der russischen Uralkali (17 Prozent der Weltförderung), im Sommer 2013 das Kartell mit der weißrussischen Belaruskali aufkündigte – und der Welt zugleich eröffnete, daß die Zeit geschützter Preise vorbei sei. 300 Dollar je Tonne halte er künftig für absolut realistisch. Fast um die Hälfte – bis auf ein Tief von 15 Euro – brach binnen weniger Tage die K+S-Aktie ein, unerhört für ein Dax-Unternehmen. Der Markt wußte schließlich Bescheid. Ratingagenturen stuften das Papier auf Ramsch-Status ab. Baumgertners Schritt brachte nicht nur K+S in die Bredouille. Auch in Weißrußland, wo es außer Kali kaum Bodenschätze gibt, war die Aufregung groß.

Wie von Baumgertner vorhergesagt gingen die Weltmarktpreise um ein Viertel zurück. Ende August 2013 wurde er während eines Minsk-Besuchs verhaftet. Zu den Bedingungen seiner Überstellung nach Rußland Monate später zählte der Verkauf aller Uralkali-Firmenanteile durch den seinerzeitigen Großaktionär, den kaukasischen Milliardär und ehemaligen Duma-Abgeordneten Suleiman Kerimow. Die Kalipreise bewegen sich auch 2015 unterhalb der Erwartungen. Sowohl Uralkali als auch Belaruskali haben in separaten Verträgen mit den Chinesen zu 315 Dollar je Tonne kontrahiert. Damit ist die Obergrenze definiert. In einem derartigen Käufermarkt kann, wenn überhaupt, nur eine drastische Angebotsreduzierung für eine Kehrtwende sorgen.

Genau das, so behaupten Branchenkenner, sei das Ziel des Übernahmeangebots der Kanadier. Ihnen liege nichts an den teuren K+S-Produktionsstätten. Das alleinige Objekt der Begierde ist demnach eine Mine, in der noch gar nicht gefördert wird: Legacy im kanadischen Saskatchewan. K+S-Chef Norbert Steiner steckt in einem Dilemma. Die Ausbeutung von Legacy soll bewirken, daß die Profitabilität und damit der Aktienkurs seines Unternehmens endlich wieder steigen. Gleichzeitig schwächt er seine Branche, die auch ohne Legacy mit einem Überangebot zu kämpfen hat.

So wie es aussieht, stellt Steiner Loyalität vor Solidarität. Vor wenigen Tagen hat K+S den Abschluß eines Vertrags mit dem amerikanischen Distributor Koch Fertilizer bekanntgegeben. Darin erhält Koch das exklusive Recht, jährlich 500.000 Tonnen Legacy-Kali in den USA zu vermarkten. „Dieser Vertrag stärkt unsere Position als zuverlässiger und unabhängiger Lieferant“, erklärt Andreas Radmacher, Vorstand des K+S-Geschäftsbereichs Kali- und Magnesiumprodukte.

Ein „weißer Ritter“ ist weit und breit nicht in Sicht

Ungeachtet solcher Manöver ist Potash, das durch die K+S-Übernahme zum Kali-Weltmarktführer würde, in der weitaus stärkeren Position. Noch hat der kanadische Konzern nicht auf Angriff geschaltet; das Angebot an die K+S-Aktionäre ist bislang nicht offiziell. Doch ein „weißer Ritter“, der die Kasseler aus der Schußlinie brächte, ist weit und breit nicht in Sicht. Der letzte Großinvestor, der im weißrussischen Gomel geborene russische Oligarch Andrej Melnitschenko, hat seine K+S-Aktien Anfang 2015 verkauft.

Auch die Hoffnung auf den deutschen Staat trägt bis dato keine Früchte. Trotz wiederholter Gespräche im Wirtschaftsministerium blieben alle Versuche, die staatliche Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) als Retter ins Boot zu holen, erfolglos. Die Staatsbank hätte dieser Idee nach eine Sperrminorität an der K+S erwerben sollen. Steiner macht sich dennoch Mut: „Wir können eigenständig bleiben, weil wir stark sind“, sagt er und räumt im gleichen Atemzug ein, „daß wir es nicht selbst in der Hand haben“. K+S-Aktien, die nach Ankündigung der Übernahme bis auf 39 Euro nach oben geschnellt waren, notieren derzeit wieder nur bei 34 Euro.

Foto: K+S-Baustelle zur Erschließung der Legacy-Mine im Süden der kanadischen Provinz Saskatchewan: Bei dem ehemaligen Kartellpreis von um die 400 Dollar hatten alle Kali-Produzenten ihr Auskommen