© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 36/15 / 28. August 2015

Die Hoffnung starb zuletzt
Südsudan: Vier Jahre nach der vielumjubelten Unabhängigkeit ist die Stimmung auf dem Nullpunkt / Elend und Vertreibungen als Folge von Stammesrivalitäten
Marc Zoellner

Nichts blieb vom kleinen Dorf Papul übrig, als die Angreifer bei Einbruch des Morgengrauens zurück in die endlosen Grasebenen verschwunden waren. Nichts außer abgebrannten Hütten, zerstörten Weidezäunen, Dutzenden schwer verwundeten Einwohnern, die hilflos auf dem einzigen Trampelpfad des Ortes an ihren Wunden litten, sowie den Leichen von 27 ermordeten Menschen; darunter sechs Frauen und sieben Kinder, welche während der Gefechte ins Kreuzfeuer der Gewehre gerieten.

Es dauerte Tage, bis die Sicherheitskräfte der Seenprovinz des Südsudan, in deren Herzen sich die Siedlung Papul einst befand, die Ortschaft erreichten. Das unzugängliche, oftmals von Sümpfen eingerahmte Gelände erschwert nicht nur die Verwaltung dieser Region, sondern auch Rettungsaktionen wie jene von Mitte Juli dieses Jahres.

Ein durchgängiges Verkehrsnetz hat in der Seenprovinz – ebenso wie im Rest des Südsudan – noch nie existiert. Rund sechzig Kilometer Straße sind in der jungen Nation von der beinahe doppelten Größe Deutschlands erst asphaltiert; der Großteil davon rund um die Ölraffinerien, die einzigen Einnahmequellen des Landes. Dörfer wie Papul sind von daher nur mit Jeeps zu erreichen, mit Eseln und auf dem Rücken von Ochsen und Pferden.

Statt Frieden nur Konflike an zwei Fronten

„Wir konnten lediglich die Verwundeten aufsammeln und in ein Krankenhaus bringen“, berichtet George Kuac, der amtliche Vorsteher des Bezirks von Papul, einige Zeit nach seinem Eintreffen deprimiert. „Die Toten haben wir auf dem Schlachtfeld zurücklassen müssen. Wir besitzen keine verfügbaren Arbeitskräfte, um die Gefallenen zu beerdigen.“ Als Kuac eintraf, erzählt er später der Sudan Tribune, seien ohnehin schon Hyänen und Aasvögel über die Leichen hergefallen.

Berichte über Massaker, Mord und Plünderungen besitzen längst keinen Seltenheitswert mehr im Südsudan. Allein seit der Unabhängigkeitserklärung vom 9. Juli 2011 zählen Beobachter weit über 100.000 Tote sowie rund anderthalb Millionen Vertriebene jenes Konflikts, welcher neben der Seenregion auch vier weitere Provinzen im Zentrum sowie im Osten des Landes im Würgegriff hält. 

Ein Konflikt, der schon so alt ist wie die beiden beteiligten Stämme selbst. Die Dinka auf der einen und die Nuer auf der anderen Seite. Mit je einer Million Angehörigen gehören sie zu den größten Ethnien des Südsudan mit seinen knapp elf Millionen Einwohnern. Mit der Ausrufung der Souveränität fand der Streit plötzlich neue Nahrung und uferte schneller aus, als es die meisten Südsudanesen vorab nur hätten erahnen können. 

Als jüngster der mittlerweile 194 Staaten zählenden Weltgemeinschaft besaß der Südsudan eigentlich sämtliche Voraussetzungen, die zum Aufbau einer funktionsfähigen Nation nötig wären. Zwanzig Jahre hatte der Zweite Sudanesische Bürgerkrieg zuvor gedauert, große Teile des Südens verwüstet und verarmt hinterlassen sowie rund zwei Millionen überwiegend zivile Opfer gefordert. 

Im Jahre 2003 einigten sich die beiden beteiligten Konfliktparteien auf Verhandlungen: die sudanesische Regierung in Khartoum unter ihrem Präsidenten Omar al-Baschir sowie die vorrangig im Süden operierende Sudanesische Volksbefreiungsbewegung SPLM unter dem derzeitigen Präsidenten Südsudans, Salva Kiir.

Mit dem Abkommen von Naivasha konnte der blutige Konflikt zwischen dem streng muslimisch ausgerichteten Norden und dem halb christlich, halb animistisch geprägten Süden im Januar 2005 schließlich begraben werden (JF. 29/11) Die Einkünfte aus dem lukrativen Ölgeschäft des Staats – der größte Knackpunkt der beiden Kontrahenten – sollten zu gleichen Teilen unter den Provinzen aufgeteilt werden. Die Scharia galt fortan nur noch im islamisch-konservativen Norden des Landes. Für den 9. Januar 2011 wurde ein Referendum zum künftigen rechtlichen Status des Südsudan angekündigt. Als sich bei diesem mit rund 3,8 Millionen Wählern über 98 Prozent der teilnehmenden Bürger für eine Unabhängigkeit ihrer Provinzen vom Norden entschieden, erkannte Nordsudan als erster Staat weltweit den Süden als souveräne Nation an.

Die Teilung des Sudan, welcher noch zu Amtszeiten des US-Präsidenten George W. Bush aufgrund der nuklearen Ambitionen Khartoums sowie dessen Unterstützung ausländischer Terrorgruppen als Schurkenstaat geführt worden war, rief international ein überwiegend positives Echo hervor. Ausländische Investoren standen plötzlich Schlange, die Vertreter der großen Erdölgesellschaften Europas und Asiens gaben sich in der neuen Hauptstadt Juba die Klinke in die Hand.

„Der heutige Tag ist eine Erinnerung, daß auf die Dunkelheit des Krieges das Licht des neuen Morgens folgen kann“, verkündete US-Präsident Barack Obama am 9. Juli 2011, dem Tag der Unabhängigkeit des Südsudan. „Eine stolze Flagge weht über Juba, und die Weltkarte wurde neu gezeichnet. Die USA sind stolz, eine führende Rolle in den Verhandlungen beider Staaten zu spielen. Gemeinsam“, so Obama, „können wir gewährleisten, daß der heutige Tag einen weiteren Schritt auf der langen Reise Afrikas hin zu Demokratie und Gerechtigkeit darstellt.“

Sechs Monate später zerbrach dieser Wunsch in Scherben. Die Erdölförderung des Südens kam bereits im Januar 2012 zum Erliegen. Grund war die Weigerung Jubas, die Regierung in Khartoum für die Nutzung von dessen Infrastruktur zu entlohnen. Konkret waren es jene Ölpipelines, die von den südsudanesischen Bundesstaaten Unity und Oberer Nil nach Port Sudan, dem bedeutendsten Hafen Nordsudans am Roten Meer, verlaufen. 

Hatte Juba auf diesem Weg vormals täglich bis zu 350.000 Barrel Rohöl verschiffen können, fand sich die Regierung unter Salva Kiir plötzlich erneut am wirtschaftlichen Nullpunkt angekommen. Stimmen innerhalb der SPLM wurden laut, die Kiir für diesen Fehlschlag persönlich verantwortlich erklärten. Mehrere westliche Mineralölkonzerne stellten ihre Zusammenarbeit mit Juba ein, als Korruptions- und Erpressungsvorwürfe gegen die Vizeministerin für Erdöl und Minenwesen, Elisabeth James Bol, bekannt wurden (JF 20/12). Lediglich der chinesische Staatskonzern CNPC verblieb im Land. Erst nach fünfzehn Monaten kam es zwischen Khartoum  und Juba zu einer Einigung.

Nach dem überraschenden Einmarsch südsudanesischer Truppen in die von Unruhen geprägte Grenzstadt Abyei drohte überdies ein neuer Krieg zwischen den beiden sudanesischen Staaten auszubrechen. Doch auch innerhalb der bislang allein regierenden SPLM formierte sich Widerstand gegen Salva Kiir. Schon seit Ende 2011 rebellierten mehrere hochrangige Kommandeure der SPLA, des bewaffneten Arms der Staatspartei, offen gegen die Kiir-Regierung.

Als dann noch der damalige Vizepräsident Riek Machar ankündigte, zur für den 9. Juli 2015 anberaumten Präsidentschaftswahl gegen Salva Kiir antreten zu wollen, eskalierte die angespannte innenpolitische Situation vollkommen. Mitsamt dem kompletten Kabinett wurde Machar von Kiir auf die Straße gesetzt, die Wahl auf frühestens 2018 verschoben. Kiir begründete seinen Schritt in Richtung Diktatur damit, die Kosten der Regierung senken zu wollen.

Doch gerade den Minderheiten des Landes schwante damals noch ein gravierenderer Grund für die Säuberungsaktion ihres Präsidenten: Denn mit der Person Machars entfernte der Dinka Kiir den letzten Angehörigen des Stammes der Nuer von den Schalthebeln der Macht. Der Jahrhunderte gärende Haß beider Ethnien aufeinander brach sich seine Bahn im offenen Bürgerkrieg zwischen Dinka und Nuer. Riek Machar bewaffnete seine „Weiße Armee“ neu, benannt nach den Viehtreibern der Nuer, welche ihre nackte Haut mit Asche einzureiben pflegen, um sich vor Fliegen und Moskitos zu schützen. Dinka-Siedlungen wurden überfallen, das Weidevieh geraubt, die wehrlosen Angehörigen dieses Stammes massakriert, verschleppt und vergewaltigt. Der Staat, seitdem komplett in Dinka-Hand, antwortete mit der Macht seines Militärapparats.

„Die regierungstreuen Truppen übten grausame Tötungen und weitverbreitete Vergewaltigungen aus“, faßt Daniel Bekele, der Afrika-Direktor der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch die Lage des Südsudan in seinem im Juli erschienenen Bericht zum Bürgerkrieg zusammen: „Brutale Attacken auf fliehende Zivilisten verbunden mit der Vernichtung von Dörfern, Nahrung und anderen Dingen, welche für die Menschen überlebensnotwendig sind, deuten an, daß die Absicht der Regierung die gewaltsame Vertreibung dieses Stammes ist“, so Bekele.

Der Südsudan fragmentiert an den Schnittstellen seiner Ethnien. Schon längst ist Kiir die Kontrolle über den Osten des Landes entglitten. Und auch unter den Azande im Südwesten rumort es gegen die Alleinherrschaft der Dinka in Juba. Der einstige Hoffnungsträger Kiir könnte von daher tatsächlich ethnische Säuberungen als probates Mittel zur Aufrechterhaltung seiner Herrschaft zumindest in den ölreichen Zentralprovinzen betrachten.

Eine Deeskalation des blutigen Konflikts zwischen Machar und Kiir scheint derzeit nicht in Sicht. Zwar hatten sich beide Parteien vergangene Woche Montag auf die Rahmenbedingungen für einen Friedensvertrag einigen können. Doch schon am Folgetag wurde die Abmachung von Kiir widerrufen. Man brauche 14 Tage Bedenkzeit hieß es.

Obama kündigt Unterstützung auf

Selbst die USA als einstiger enger Unterstützer Salva Kiirs haben die Hoffnung auf bilaterale Verhandlungen aufgegeben. Ende vergangener Woche reichten sie bei den Vereinten Nationen einen Resolutionsentwurf zum internationalen Waffenembargo gegen den Südsudan ein, welches bereits ab dem 6. September in Kraft treten soll, sollte Kiir bis dahin keine konkrete Lösung anzubieten haben. Die engen Bande der Schutzmacht mit dem jungen afrikanischen Staat scheinen ebenso aufgelöst wie die innerstaatliche Integrität des Südsudan selbst.

Als failed state möchte Kiir seine Nation der Weltgemeinschaft trotz alledem nicht präsentieren. Entsprechend veröffentlichte seine Regierung pünktlich zum vierten Jahrestag der Unabhängigkeit am 9. Juli eine neue Münzkollektion mit den Emblemen der zehn Provinzen des Landes. Geldstücke als Handelsware waren im Südsudan, dessen Einwohner aufgrund der hohen Inflation im Land lediglich mit Scheinen zu zahlen und die Differenz aufzurunden pflegen, bislang selten gebräuchlich. Gleichwohl war auch der Regierung klar, daß die Münzen lediglich symbolischen Charakter besaßen. Denn gerade für die kleinen Piastermünzen gibt es im Südsudan schon längst nichts mehr zu kaufen.

 Allein in den vergangenen zwölf Monaten stiegen die Preise für Nahrungsmittel und nichtalkoholische Getränke um 50 Prozent in der Hauptstadt, in den Bundesstaaten im Nordwesten sogar um bis zu 86 Prozent an. Doch in den neuen Münzen sieht Kiir, dessen Panzer erst diesen Monat wieder zur Großoffensive gegen die Nuer in der bezeichnenderweise auf den Namen „Einigkeit“ getauften Provinz im Zentrum des Landes aufbrechen, sein letztes Instrument, nach außen auch Einigkeit zu demonstrieren: Sei es auch nur auf der Rückseite von mittlerweile wertlosen Piastermünzen.