© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 36/15 / 28. August 2015

Ohne Rücksicht auf die Natur
Die Sicht der Zeitschrift „Politische Ökologie“: Afrika als Beute des globalen Nordens
Dieter Menke

Gemessen daran, was auf uns zukomme, sei der afrikanische Anteil an der „aktuellen Flüchtlingswelle“ nur ein „Rinnsal“. Denn der Schwarze Kontinent, so kolportiert der Kolumnist Wolfgang Bok UN-Prognosen, werde bis zum Ende dieses Jahrhunderts mit vier Milliarden Menschen seine Bevölkerung fast vervierfachen (Schleswig-Holstein am Sonntag, 2. August 2015).

Politik und Wirtschaft, Kirchen und Medien verkaufen diese Invasion jedoch weiterhin als „humanitäres“ Problem. Das sei entweder, wie die Kieler Finanzministerin Monika Heinold (Grüne) glaubt, mit mehr Geld vom deutschen Steuerzahler zu lösen, oder, wie die Hamburger Grünen-Vorsitzende Anna Gallina (Jahrgang 1983) propagiert, es dürfe als solches gar nicht wahrgenommen werden, weil der „Flüchtlingsstrom eine Bereicherung“ sei und zur „interkulturellen Öffnung der deutschen Gesellschaft“ beitrage (FAZ, 12. August 2015).

Jenseits solcher gemeingefährlichen Realitätsverweigerung mehren sich indes Stimmen von Politikern, Journalisten und Migrationsforschern, die dazu auffordern, dem gutmenschlichen Diskurs zu entsagen, um den Blick auf die spezifischen afrikanischen Ursachen dessen zu richten, was sich nach Einschätzung des Bremer Soziologen Gunnar Heinsohn schon bis 2050 zur „größten Wanderungsbewegung der Weltgeschichte“ entwickeln könnte (FAZ, 9. März 2015).

Korrupte Regime und     Profitsucht Hand in Hand

Die demographische Explosion muß bei einer derartigen Bestandsaufnahme aber nicht einmal im Vordergrund stehen. Für die Riege von Natur- und Sozialwissenschaftlern, deren Beiträge das Themenheft „Afrika“ der linken Zeitschrift Politische Ökologie (Nr. 141/15) füllen, scheinen jedenfalls selbst vier Milliarden Menschen den seit langem mit fünfprozentigen Wachstumsraten jährlich glänzenden, rohstoffreichsten Kontinent der Erde nicht zu überfordern.

Würden hingegen die ökonomischen und ökologischen Krisen, die heute, ungeachtet imponierender Wirtschaftsstatistiken, fast alle der 53 Staaten Afrikas plagen, nicht gemeistert, könnte das ungebremste Bevölkerungswachstum binnen zweier Generationen in die Katastrophe Afrikas münden, die auch Europa mit Sicherheit in den Abgrund reißen dürfte.

Die Verantwortung für die aktuell prekäre Lage schieben die zumeist über viel Erfahrung im Entwicklungsdienst verfügenden Autoren der Politischen Ökologie einer unheiligen Allianz von Weltbank, Internationalem Währungsfonds (IWF), USA, EU, China und international operierenden Konzernen zu. Während vor allem in Nord­amerika und Europa der Gesetzgeber dem „neoliberalen“ System radikaler Vernutzung von Mensch und Natur einige ökologische Grenzen zog, agierten diese Machtgruppen in Afrika wie zu Zeiten des brutalsten Manchesterkapitalismus. Auf die Umwelt müsse hier, wegen der Unterstützung maximal korrupter Regime, bei der „kurzfristigen Profitmaximierung“ nirgends Rücksicht genommen werden.

So förderte Exxon im Tschad unbehindert von Umweltauflagen so lange Öl, bis die Bodenverseuchung zum großen Baumsterben und infolgedessen zur Verelendung der Anwohner führte. Eine kanadische Firma hinterließ im Norden Kameruns, wo sie Uranvorkommen erkundete, ungesicherte offene Bohrlöcher. Die dort gemessene radioaktive Strahlung überstieg das für den Menschen unbedenkliche Höchstmaß um ein Vielfaches, so daß das Krebsrisiko dort zugenommen hat. Auch in Gabun durfte ein Konzern seine Uranmine schließen, ohne Sicherheitsvorkehrungen treffen zu müssen.

Konzessionen, die die Genehmigung zum Rohstoffabbau mit Verpflichtungen zur Opferentschädigung und zur Wiederherstellung des ursprünglichen ökologischen Zustandes verknüpfen, sind bisher die Ausnahme. Zumal, wie die Juristin Erika Tchatchouang betont, Konzerne bewußt in Nationalstaaten investierten, die zu schwach sind, um sie zu kontrollieren.

Die häßlichsten Verheerungen dieses „Geschäftsmodells“ seien augenblicklich beim „Rohstoffboom“ im mittleren und westlichen Afrika zu registrieren, wo Rodung, Verwüstung sowie Vergiftung von Boden und Wasser den Abbau ergiebiger Mineralvorkommen begleiten. Jetzt schon, rechnet die Landschaftsökologin Svane Bender-Kaphengst vor, gelten 65 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche des Kontinents als degradiert oder verunreinigt. Daß Staaten auch auf andere Weise ihre natürlichen Lebensgrundlagen zerstören, weist die Leiterin des Afrika-Programms des Naturschutzbundes (Nabu) am Beispiel Äthiopiens nach. War das ehemalige Kaiserreich bis in die siebziger Jahre noch zu 40 Prozent bewaldet, sind von diesem üppigen Bestand 2014 kärgliche drei Prozent übrig. Nur mit Glück und der Hilfe des Nabu könnte davon bis 2020 das 760.000 Hektar große Kafa-Biosphärenreservat im südwestlichen Hochland, Ursprung und Zentrum der genetischen Vielfalt von Arabica-Kaffee, übrigbleiben.

Westafrika, 50 Jahre nach Ende der britischen und französischen Kolonialherrschaft zu den ärmsten Regionen der Welt zählend, steht derzeit mit großen Landflächen und Wasserreserven auf den Einkaufslisten überseeischer Konzerne ganz oben. 126 Landtransaktionen fanden seit 2009 statt. Dabei nutzt China nicht nur die Westafrikaner immer stärker als Rohstofflieferanten und tritt das Erbe europäischer Kolonialmächte an. In Sierra Leone und Liberia kultivieren diese Investoren Zuckerrohr, Ölpalmen und Kautschuk, um die Produkte als Agro­treibstoff oder industriellen Rohstoff zu exportieren. Das gehe, wie der Agraringenieur Erwin Geuder-Jilg ausführt, zu Lasten kleinbäuerlicher Existenzen, der Ernährungssicherheit und der biologischen Vielfalt.

Ist Afrikas Armut gewollt und organisiert?

Daß die elf Staaten der Sahelzone, von Nigeria bis Eritrea, demnächst am schlimmsten unter dem Klimawandel leiden würden, lasten die Afrikaner ebenfalls dem „globalen Norden“ an. Der „Klimawandel“ lasse die multiple Krise eskalieren, die, nach der Überzeugung von Mariam Sow, die sich im Senegal für nachhaltige Landwirtschaft engagiert, IWF und Weltbank in den achtziger Jahren mit der erzwungenen „Liberalisierung“ des Handels entfachten, und deren Politik der von Frankreich gesteuerte „neokoloniale“ Kurs der EU fortsetze, so daß sich die Frage stelle, ob die Armut Afrikas nicht zum Teil gewollt und organisiert sei.