© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 36/15 / 28. August 2015

Der Flaneur
Hochsommer in der Hauptstadt
Sebastian Hennig

Wo die Jungfrauen sittig den Hausrat zu ordnen verstehen, in anmutiger Versunkenheit den Männern einen gastlichen Tisch zu decken, mit den zierlichen Fingern die wohlschmeckenden Speisen bereiten, da stehen sie auch heute kaum zurück. Wenn auch die schlanken Hände vornehmlich das eigene Haar zu bändigen suchen und statt des Stickrahmens oder der wärmenden Häkelsocke ihre Fertigkeit nun mit dem Entwirren der Kabeldrähte ihres Musikhörgerätes beschäftigt ist. Wie lieblich auch das! Es sind die herzigen Dinger eben einfach zum Gernhaben, was sie immer tun (und lassen).

Dort kommt ein Jüngling herbeigeschlurft. In der beuteligen Strickmütze, in der gemeinhin die Inselkariben ihr verfilztes Haupthaar mit sich tragen, führt er einen kopfgroßen Spielball mit sich. Zwei andere stehen bis zur Wade in den Untiefen eines Springbrunnenbassins. Sie schlagen sich über die Wasserfläche den gefiederten Ball zu. Wir verfügen uns zur nahen Straßenbahnhaltestelle.

Über die Fläche unter dem auf schmalem Sitzsteg lastenden Leib darf er verfügen.

In deren kleinem Unterstand aus Glas erwartet bereits eine füllige Dame die Elektrische. Sie lastet auf der schmal-kurzen Bank, die eigens so unbequem gestaltet ist, daß keiner seine Nachtruhe hier verbringen oder seinen Rausch ausschlafen mag. Von der Seite her arbeitet sich ein Straßenkehrer an uns heran. In der Korona des Wartepavillons gibt es für ihn besonders viel einzusammeln. Verpackungen von aus Langeweile konsumierten Kleinigkeiten, beim Einfahren der Bahn rasch Weggeworfenes. Gewissenhaft und rasch zwickt er mit seiner langen Zange alles auf und stopft es in den Sack, den er in der anderen Hand hält.

Um uns herum grabbelt und greift er sich auf dem Boden voran. Die Dame schätzt er instinktiv als Arbeitsbehinderung ab. Mit ihrer Raumverdrängung muß er sich arrangieren. Über die tastbare Fläche unter dem auf schmalem Sitzsteg lastenden Leib darf er verfügen. Unbefangen zwickt er die Schnipsel und Kippen weg, die zwischen ihren Füßen auf jener Fläche liegen, die von ihrem bauschigen Rock beschattet wird.