© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/15 / 04. September 2015

Selbstdemontage aus Angst vor der Niederlage
SPD: Die quälende Diskussion, ob überhaupt und wenn ja wie die Partei 2017 einen Kanzlerkandidaten aufstellen soll, zeigt die Verunsicherung der Sozialdemokraten
Lion Edler

Ein übertriebenes Selbstbewußtsein kann man der SPD derzeit nicht vorwerfen. Bis zur nächsten Bundestagswahl sind es noch zwei Jahre, doch schon jetzt debattieren die Sozialdemokraten darüber, ob man überhaupt einen Kanzlerkandidaten gegen Angela Merkel aufstellen sollte. 

Losgetreten hatte diese Debatte ausgerechnet in der Sommerpause Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig. Zwar habe er keinen Zweifel, daß Parteichef Sigmar Gabriel „das exzellent machen wird“, sagte Albig im Juli. Er glaube allerdings, „es ist schwer, gegen diese Bundeskanzlerin zu gewinnen“. Die SPD müsse sich realistischere Wahlziele setzen, um glaubwürdiger zu sein, gab Albig zu bedenken. Dazu gehöre eine Regierungsbeteiligung der SPD, die immerhin besser sei als eine Alleinregierung der Unionsparteien. Doch die Unterstützung für den Vorstoß hielt sich in Grenzen. 

Sogar in Albigs eigenem Landesverband. Partei- und Fraktionschef Ralf Stegner wies Albigs Gedankenspiel umgehend zurück. Stegner gab sich überzeugt, daß Angela Merkel 2017 geschlagen werden könne. „Finis 2017!“, schrieb er siegessicher via Twitter. Doch einfangen konnte er die Debatte damit nicht mehr. Je länger sie dauerte, desto mehr schien sich das Problem von allein zu erledigen: In den Umfragen sank die SPD zwischenzeitlich noch tiefer  – auf 23 Prozent. Die Union, die derzeit zwischen 41 und 42 Prozent pendelt, scheint unerreichbar. Die Diskussion über die Kanzlerkandidatur habe den Wählern gezeigt, wie dünn die Personaldecke der SPD sei, konstatierte der Chef des Meinungsforschungsinstituts Forsa, Manfred Güllner, im Stern.  Ungeklärt ist indessen, wer überhaupt gegen Angela Merkel in den Ring steigen könnte. Für Gabriel scheinen die Chancen zunehmend schlechter zu stehen: Bei der Kanzlerpräferenz votieren selbst die SPD-Anhänger mit 39 Prozent für Merkel; nur 37 Prozent entscheiden sich für den SPD-Chef. Bei der Gesamtheit der Wähler liegt Merkel mit 55 Prozent deutlich vor Gabriel mit zwölf Prozent.

Juso-Chefin fordert Urwahl

Auch unter den SPD-Funktionären, unter denen der linke Flügel überrepräsentiert ist, hat Gabriel eher mäßige Unterstützung. Die Juso-Chefin Johanna Uekermann forderte eine Urwahl des Kanzlerkandidaten. Schließlich habe die SPD nicht nur einen möglichen Kandidaten, sondern mehrere  „gute Männer und Frauen“, sagte Uekermann der Welt. Rückendeckung bekam sie von Ralf Stegner. Bei der Mitgliederbeteiligung sei die SPD ohnehin „unangefochtener politischer Marktführer in Deutschland“, tönte der Parteivize. 

Mit Uekermanns Äußerungen wurde indessen deutlich, worin die Gründe für Gabriels geringe innerparteiliche Rückendeckung liegen: Nach dem Geschmack vieler Genossen ist Gabriel zu weit vom linken Pfad abgewichen. In bezug auf Gedankenspiele über den Euro-Austritt Griechenlands habe Gabriel  „rumgeeiert“, klagte Uekermann. Die Chefin des Parteinachwuches fordert ihn auf, nach Griechenland zu reisen. Im Gespräch mit Arbeitnehmern, Studenten und Rentnern könne er dort „sicher viel lernen.“ Bereits im Juni hatten die Bayerischen Jusos ihrem Parteichef vorgeworfen, in der Europolitik „unreflektiert Stammtischparolen zu wiederholen und im trübbraunen Wasser zu fischen“. 

Doch Konfliktstoff mit den Jusos und dem linken Flügel gab es nicht nur in der Europolitik. Schließlich sprach Gabriel auch mit Pegida-Sympathisanten und betonte, es gebe „ein demokratisches Recht darauf, rechts zu sein oder deutschnational“. Daran dürfte auch sein Auftritt vor dem Asylbewerberheim in Heidenau nicht viel geändert haben. Und dann war da noch sein Auftritt bei einem Energie-Kongreß, als er in einer bissigen Rede gegen die „Propaganda“ und gegen die „Mystifizierung der Energiewende“ durch  Greenpeace wetterte. Es sei eine Illusion, daß man kurzfristig aus der Kernenergie und gleichzeitig aus der Kohle aussteigen könne. Die Jusos und andere Parteilinke dürften solche Äußerungen bei der Diskussion um die Kanzlerkandidatur nicht vergessen haben.