© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/15 / 04. September 2015

„Die haben Heidenau in den Dreck gezogen“
Reportage: Nach den gewalttätigen Protesten gegen ein Asylbewerberheim fühlen sich die Bewohner der sächsischen Stadt zu Unrecht an den Pranger gestellt
Elena Hickman

Am Straßenrand liegen noch die Glasscherben. Ein Überrest der gewalttätigen Demonstrationen vor dem ehemaligen Baumarkt in Heidenau – inzwischen ein Asylbewerberheim für rund 600 Menschen. Eine Frau fährt auf ihrem Fahrrad vorbei, zieht eine Augenbraue hoch, die andere runter und schaut skeptisch zur Unterkunft rüber. In der sächsischen Stadt ist es ruhig, die Stille nach dem Sturm.  

Was Heidenau von den Ausschreitungen bleibt, sind nicht nur zerbrochene Glasscherben, sondern auch ein ruinierter Ruf. „Heidenau haben die hier richtig in den Dreck gezogen“, klagt eine etwa 40 Jahre alte Frau auf dem Weg zur Arbeit. Niedergeschlagen berichtet sie, wie der Reifenfirma, für die sie arbeitet, Aufträge gekündigt wurden, „weil irgendwo Heidenau draufsteht“. Niemand wolle mehr mit der Stadt in Verbindung gebracht werden. Resigniert zuckt sie mit den Schultern. Im Gespräch mit ihr kommt langsam die Verbitterung zum Vorschein, der Ärger über diese Ungerechtigkeit der gesamten Situation. Grundsätzlich habe sie nichts gegen die Asylbewerber, sagt sie, „aber wir müssen für alles irgendwelche Anträge ausfüllen, und die bekommen das Geld einfach so“. Es ist eins von vielen „Aber“, die von den Einwohnern vorgebracht werden.

 Doch es ist nicht nur die Ruhe nach, sondern auch die Ruhe vor dem Sturm. Am Wochenende kochte die Stimmung wieder hoch, als Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) von linksextremen Demonstranten beschimpft wurde. Das Bündnis „Dresden Nazifrei“ hatte ein „Willkommensfest“ für die Flüchtlinge geplant, was schon im Vorfeld für einige Aufregung gesorgt hatte. Das Landrats-amt verhängte ein Versammlungsverbot für das gesamte Wochenende. Begründung: Polizei-Notstand. Das Fest sollte trotzdem stattfinden, beschlossen die Verantwortlichen, und tatsächlich kippte das Dresdner Verwaltungsgericht das Verbot kurze Zeit später. 

Viele Heidenauer fühlen sich überrumpelt

Allerdings setzte das Oberverwaltungsgericht in Bautzen den Entschluß wieder in Kraft – nur das Willkommensfest war ausgenommen und durfte stattfinden. Und dort wurde Ulbig dann von den Linksextremisten als „dumme Sau“ beschimpft, der sich „verpissen“ solle. So ganz konnte Ulbig die Kritik nicht verstehen, „weil ich mit dafür gesorgt habe, daß diese Versammlung stattfinden kann“. Viele sehen ihn aber als einen Hauptverantwortlichen für die chaotischen Asyl-Zustände in Sachsen und fühlen sich überrumpelt.

 Die Anreise der Asylbewerber kam für die rund 16.000 Heidenauer tatsächlich unerwartet. Eine junge Frau war gerade mit ihrem kleinen Kind spazieren, als vor zwei Wochen die Proteste losgingen. „Wir sind schnell wieder in die Wohnung zurück und drinnen geblieben“, erzählt sie und schaut zu ihrem Sohn, vielleicht ein halbes Jahr alt, der friedlich im Kinderwagen liegt. Dabei sei Heidenau eigentlich eine familienfreundliche Stadt. Man solle Menschen ja nicht von vornherein verurteilen, sagt sie, „aber die Angst ist schon da, daß es hier so wird wie in anderen Städten“.

Auch der alte Mann, der mit einer Netto-Einkaufstasche langsam die Straße entlangläuft, fühlt sich von der Situation überfordert: „Plötzlich sind 600 Fremde hier, ohne Vorwarnung.“ Ihn ärgert das. „Die haben für Deutschland nichts getan, aber bekommen alles – Essen, Kleidung, Taschengeld“, sagt der Mann. Den eigenen Obdachlosen in Heidenau würde nicht geholfen, „über die spricht niemand“.

Vielen in Heidenau fällt dieser Mißstand auf. Menschen überschlügen sich, um den Flüchtlingen zu helfen und vergäßen die Bedürftigen vor ihrer Haustür. „Die Flüchtlinge bekommen so viel Unterstützung“, berichtet eine ältere Frau, „und wir haben hier selbst so viele Arbeitslose.“ Sie schiebt ihren kleinen Enkel in der heißen Mittagssonne spazieren – aus Angst, abends rauszugehen. „Es ist nicht gut, daß jetzt so viele Flüchtlinge da sind“, gesteht sie. Auch eine andere Frau faßt sich ein Herz: „Ich bin auch dagegen, daß die hier sind.“ Aber kaum hat sie das gesagt, schüttelt sie den Kopf. „Da sag ich jetzt besser nichts mehr weiter“, seufzt sie, dreht sich ab und geht schnell weg.

Fast niemand der Heidenauer möchte mit Namen genannt werden, sie wollen lieber anonym bleiben. Nur Claudia Resch traut sich, ihren Namen anzugeben. Auch sie findet es traurig, daß Heidenau jetzt einen so schlechten Ruf hat. 

„Wo Druck ist, da entsteht Gegendruck“ 

Die Stadt werde dafür verantwortlich gemacht, daß ein paar Menschen gewalttätig seien. Das sei nicht in Ordnung, sagt Resch, aber zu schweigen auch nicht: „Jeder hat eben das Recht, zu sagen, was er denkt.“ „Und dafür wird man dann als Pack bezeichnet“, wirft ihr Begleiter ein und spielt damit auf Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) an, der in der vergangenen Woche in Heidenau Asylkritiker als „Pack“ bezeichnet hatte.

So verurteilt zu werden, stört auch einen etwa 60jährigen mit Baseballkappe. Es sei nicht richtig, ihm eine rechtsradikale politische Gesinnung zu unterstellen, nur weil er sich Sorgen mache. „Die Leute haben Angst um ihr Hab und Gut“, sagt er. Deshalb müsse Deutschland jetzt einen Schlußstrich ziehen und die Grenzen dichtmachen. Das ist ihm wichtig, er wiederholt es mehrmals. Er ärgert sich auch, wie die Medien über Heidenau berichtet hätten: „Warum werden nur die Rechtsextremen gezeigt und nicht auch die Linksextremen?“ Die hätten auch Ärger gemacht. „Wo Druck ist, da entsteht Gegendruck“, versucht ein älterer Herr mit weißem Poloshirt zu erklären.

Er ist einer der wenigen Schaulustigen, die am Donnerstag vergangener  Woche vor dem Pestalozzi-Gymnasium stehen. Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) hat sich hier zusammen mit der Journalistin Dunja Hayali und mehr als hundert Schülern des Gymnasiums zu einer Gesprächsrunde getroffen. Nach Besuchen von SPD-Chef Sigmar Gabriel und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hielt sich die Aufregung über Maas in Grenzen. Die Schüler seien sehr sensibel für das, was in ihrer Stadt geschehe, urteilte der Minister anschließend. Es sei wichtig deutlich zu machen, „daß die Mehrheit in diesem Ort anders denkt“. Die Mehrheit sei, wie der Bundespräsident sagen würde, hell und nicht dunkel, freute sich Maas. Aber anscheinend sagt die Mehrheit in Heidenau ihre ehrliche Meinung nur anonym.

Das „Willkommensfest“ wurde am Ende von vielen Politikern und Medien überschwenglich gelobt und als ein Hoffnungs- und Freudenfest gefeiert. Aber als die Feier zu Ende ging, verließen viele Teilnehmer das Gelände und brachen zum Bahnhof auf, um wieder nach Hause zu fahren. Heidenauer wurden kaum gesehen. 

Foto: Linksextremisten verjagen am vergangenen Sonnabend Sachsens Innenminister Markus Ulbig aus Heidenau: Viele Einwohner wollen aus Angst ihren Namen nicht nennen