© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/15 / 04. September 2015

Es wird sich alles ändern
Erlanger Poetenfest: Neben der Literatur spielte Politik eine große Rolle
Petra Knoll

Zu befürchten war Erlanger Einfalt und Stumpfsinn: „Zu allen Zeiten waren Menschen auf der Flucht. Die Gründe waren immer die gleichen.“ So begann jede Veranstaltung auf dem Poetenfest in Erlangen – egal ob Dichterlesung oder Podiumsdiskussion. Dann folgte eine kurze literarische Lesung – vorgetragen von Schauspielern des Markgrafentheaters – über Heimatvertriebene aus dem Jahr 1946 oder einige Zeilen von Karl Kraus oder Bert Brecht oder Immanuel Kants Worte zum ewigen Frieden. Bereits diese Kurzlesungen widerlegten die Parole „Die Gründe waren immer die gleichen“, sondern offenbarten ganz unterschiedliche historische Situationen und Motive, so daß der Vergleich mit der aktuellen Völkerwanderung oft nicht paßte. Von heutigen Taschengeldjägern war nie die Rede. 

Nein, das Erlanger Poetenfest mit seinen 12.000 Besuchern war nicht gleichgeschaltet. Weder die vierzig Veranstaltungen zu Literatur und Politik noch die über 80 Autoren und Kritiker. Im Gegenteil: Einige Publizisten beklagten sich über das „elende Kumpelsystem“ in der Literaturkritik und über Zensurversuche beim staatlichen Fernsehen. Im Markgrafentheater beim Thema „Charlie Hebdo und die Folgen“ meinte Jens Jessen von der Wochenzeitung Die Zeit, das Zensurverlangen in den Rundfunkräten werde zunehmen, wenn islamische Verbandsvertreter dort einen Sitz ergatterten. Bereits heute würden der ideologische Feminismus und andere Sekten die Meinungsfreiheit einschränken.

Ulrike Ackermann, Leiterin des John- Stuart-Mill-Instituts für Freiheitsforschung in Heidelberg, meinte, daß es keine Tabus im Gespräch mit konservativen Islamverbänden geben dürfe. Die strikte Trennung zwischen Islam und Islamismus halte sie nicht für überzeugend. Immer zu sagen: „Das hat nichts mit dem Islam zu tun“ bringe nichts, wenn man die Terroranschläge diskutiere oder über gutausgebildete Salafisten spreche. Auch die Islamverbände würden nicht die Pluralität der Lebenswege anerkennen oder den Religionsaustritt akzeptieren.

„In Deutschland zählt das Wohlfühl-Zusammenleben“

Mit leichtem Spott wunderten sich die Diskutanten über die Unterschiede in Deutschland und Frankreich nach der Ermordung der Charlie-Hebdo-Redakteure. In Frankreich gingen vier Millionen Menschen für die Freiheit auf die Straße, auch wenn die Fernsehbilder der französischen Staatsführung leicht manipuliert waren. In Berlin organisierte die politische Klasse eine Kundgebung für religiöse Toleranz – und mußte die Teilnahme der Moslems finanziell fördern. „In Deutschland zählt eben nicht die Freiheit, sondern das Wohlfühl-Zusammenleben“, meinte Moderator Florian Weyh. „Wir sind eine Teddy-Gesellschaft mit Jubelpersern“, ergänzte Alexander Kissler. Weil die Politik Angst vor Terroranschlägen habe, verteile sie Beruhigungspillen ans Volk, sagte der Redakteur des Magazins Cicero und Autor des Buches „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muß“.

Eine weitere Diskussionsrunde konzentrierte sich auf den Koran als Legitimation für Gewaltausbrüche. Dazu konnte der berühmte und hochgelobte Übersetzer Hartmut Bobzin wenig beitragen, der in der Tradition von Friedrich Rückert den Koran übersetzt. Der Erlanger Professor betonte die schwierige Quellenlage beim „Ur“-Koran und die Übersetzungsprobleme, weil in der arabischen Schrift die Selbstlaute weggelassen werden. Von dem ehemaligen ARD-Korrespondenten Samuel Schirmbeck wurde Bobzin arg in die Ecke getrieben, weil er nicht einmal den Versuch mache, die islamische Diktatur in Saudi-Arabien mit einzelnen Versen des Korans in Beziehung zu setzen. Auch die finanzielle Unterstützung für die Terrormiliz Boko Haram durch die Saudis konnte Bobzin nicht erklären.

Schirmbeck las aus seinen Aufzeichnungen vor, die er während seiner Tätigkeit für das ARD-Büro in Algier (1991–2000) sammelte. Der Koran liefere Kriegserklärungen, entstamme selbst aus einer Bürgerkriegszeit und sehe die Ungläubigen stets als Bedrohung. Immer werde in grober Manier zwischen Gläubigen und Ungläubigen unterschieden. „Das nervt. Mit dem Buch stimmt etwas nicht. Und jetzt spielt der Islamische Staat den Koran nach.“

Islamwissenschaftler Patrick Franke bestätigte, daß mindestens fünf Koranverse zur Gewalt aufrufen. Ein Teil des Korans sei in der Bürgerkriegszeit zwischen 622 und 632 n. Chr. entstanden. Der Koran sei keine fortlaufende Erzählung wie das Neue Testament, sondern eine Sammlung von widersprüchlichen Versen: mal assoziativ, mal rechtlich, schließlich reine Einzelaussagen. Die Aggression der Islamisten begründe sich nicht aus einem Gefühl der kulturellen Unterlegenheit, sondern aus koranischer Siegesgewißheit. Aus dem Kampf werde eine neue Klasse von Herrenmenschen heranwachsen. Es werde Sexsklavinnen geben, wie es kürzlich in der Internet-Zeitschrift Dabiq des Islamischen Staates skizziert wurde, sagte der Forscher der Universität Bamberg. 

Schweigsam war Alice Schwarzer zu diesem Thema, als sie zu Beginn des Poetenfests zur Zukunft der Frauenbewegung befragt wurde. Stattdessen erzählte sie fast zwei Stunden lebhaft von ihren Begegnungen mit Prominenten wie Simone de Beauvoir, Romy Schneider und Marion Gräfin Dönhoff. Nur wenige Sätze sagte sie zur Masseneinwanderung: Es werde sich alles ändern. Es werde eine neue Gesellschaft entstehen.

 www.poetenfest-erlangen.de