© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/15 / 11. September 2015

Die Polizistin, die Maria Block war
Hamburg I: Der Fall einer Verdeckten Ermittlerin, die von Linksextremisten enttarnt wurde, setzt die Sicherheitsbehörden unter Druck
Christian Vollradt

Ich bin hier wirklich rundum glücklich“, sagte die junge Polizistin Maria B., als sie einem Journalisten über ihren Wechsel von Berlin an den neuen Dienst- und Wohnort Hamburg berichtete. Das war 2003. Der Artikel aus der Welt am Sonntag – mit vollständiger Namensnennung – steht nach wie vor im Netz. Genauso wie die Titelseite des Polizeispiegels, der Mitgliederzeitschrift der Deutschen Polizeigewerkschaft, auf der Maria B. an einen Streifenwagen gelehnt fröhlich lächelt. 

Doch so glücklich mit ihrer Situation in der Hansestadt und zum Lachen aufgelegt dürfte die Beamtin heute, zwölf Jahre danach, nicht mehr sein. Denn im Internet veröffentlichten Angehörige der linksextremen Szene ein Dossier über die Polizistin, inklusive persönlicher Daten sowie die Privatanschrift. Maria B. war unter dem Tarnnamen „Maria Block“ von 2009 bis 2012 als Verdeckte Ermittlerin (VE) in eben dieser Szene eingesetzt worden. 

Aus Säufern schlagkräftige Truppe gemacht

Um ihr Zielobjekt aufzuklären, hatte sie unter anderem in einer „Antirassismus“-Kneipe in der Hafenstraße gearbeitet, an Szenetreffen und Demonstrationen teilgenommen. Detailliert zeichnen die Verfasser des Papiers den Einsatz der Ermittlerin nach, stellen der Legende von „Maria Block“ Biographisches der echten Maria B. gegenüber. Und sie behaupten, die Beamtin habe während ihres verdecken Einsatzes nicht nur Freundschaften zu Mitgliedern der Szene aufgebaut, sondern sei auch mindestens ein sexuelles Verhältnis eingegangen.  

Die jetzt veröffentlichte Enttarnung ist für die Polizei ein Schlag ins Kontor. Abgesehen davon, daß die betroffene Beamtin möglichen Racheakten ausgesetzt ist, wirft es ein schlechtes Licht auf die Professionalität der Truppe. Schließlich ist es bereits der zweite Fall innerhalb kurzer Zeit. Denn im Herbst vergangenen Jahres wurde Iris P. als ehemalige „Beamtin für Lagebeurteilung“ (BfL) enttarnt, die von 2002 bis 2006 verdeckt im linksextremen Szenetreff „Rote Flora“ ermittelt hatte. Urheber der Enthüllung waren auch diesmal diejenigen, die zuvor ausgespäht wurden. 

Der Hamburger Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Joachim Lenders, geht davon aus, daß es in der Szene eigens eine Art Spionageabwehr gibt, die ehemals aktive Personen unter die Lupe nehme, wenn diese sich plötzlich aus der Szene gelöst hätten. Dafür spricht, daß das im Internet veröffentlichte Dossier auch entsprechende Tips enthält, wie man sich vor Unterwanderung durch Verdeckte Ermittler schützen könne. Der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) kritisiert die Polizeiführung, sie habe Maria B. als VE eingesetzt, obwohl bekannt war, daß sie zuvor öffentlich dargestellt worden war. Hamburgs BDK-Chef Jan Reinecke fragte zudem: Warum wurde die Polizistin ähnlich wie im Fall Iris P. nach dem verdeckten Einsatz weiter in der Hansestadt beschäftigt und wechselte nicht in ein anderes Bundesland, wo das Entdeckungsrisiko deutlich geringer gewesen wäre.

Daß linksextreme Gruppen in ihren Reihen eingesetzte Verdeckte Ermittler enttarnen und damit an die Öffentlichkeit gehen, ist keine Seltenheit. So äußerten etwa im 2001 Mitglieder des „Anti Atom Plenums“ in Göttingen öffentlich den Verdacht, ihr Gruppenmitglied „Axel John Phillips“ sei in Wahrheit ein Polizist des niedersächsischen Landeskriminalamts. Der Beamte, der während einer Zusammenkunft „geoutet“ worden war, dementierte zunächst, wurde dann allerdings zügig abgezogen. 

In Karlsruhe findet zur Zeit ein Prozeß wegen des Einsatzes eines verdeckten Ermittlers im linksradikalen Studentenmilieues der Universität Heidelberg statt. Dort hatte 2010 ein Polizist unter dem Tarnnamen „Simon Brenner“ operiert, um politische Straftaten zu verhindern. Die Kläger sehen sich zu Unrecht bespitzelt und halten den Einsatz für rechtswidrig. „Brenner“ war durch Zufall enttarnt worden, nachdem ihn eine frühere Urlaubsbekanntschaft wiedererkannte, der er sich zuvor als Polizist vorgestellt hatte.

Besonders peinlich für das LKA in Baden-Württemberg war ein Fall, bei dem 1992 gleich zwei Staatsschutzbeamte aufflogen; und zwar ganz ohne Fremdeinwirkung. Unter dem Decknamen „Jo“ hatte sich ein Polizist in die linksradikalen Szene rund um die Tübinger Evangelische Studentengemeinde eingeschleust und dort mit großem Engagement mitgearbeitet. Unter anderem habe er Kommilitoninnen die (in der Polizei verbreitete) Selbstverteidigung Jiu-Jitsu beigebracht, Plakate gemalt und fleißig mitdemonstriert. Unter der Überschrift „Spätzle-Stasi“ vermeldete der Spiegel: „Über Nacht hörte Jo auf, ein guter Kumpel zu sein. Er hatte sich in eine Tübinger Studentin verliebt, sie war schwanger geworden. Da offenbarte ihr Jo, daß er ein verdeckter Staatsschutzspitzel des baden-württembergischen Landeskriminalamtes war. Die Freundin gab das Bekenntnis weiter.“ Im Zusammenhang dieser Selbstdekonspiration war der ebenfalls dort verdeckt ermittelnde Kollege namens „Ralf“ gleich mitaufgeflogen. 

Einer allzu lose Polizistenzunge war es auch, die – ebenfalls in Baden-Württemberg – einen Fall ans Licht brachte, der das Potential zum veritablen politischen Skandal hatte. Zwischen 1993 und 1995 hatte das LKA einen Verdeckten Ermittler namens „Axel Reichert“ eingesetzt, der in Karlsruhe das militante rechtsextremistische Spektrum aufklären sollte. Der Focus schrieb über den Fall: „Das Problem: Die Gruppe gab es nicht wirklich. Als der VE kam, traf er nur ein Häufchen demotivierter Saufbrüder an. Als er zwei Jahre später wieder abtauchte, hinterließ er die Truppe wohl strukturiert und schlagkräftig.“ 

Der Beamte „Reichert“ hat also nicht nur vorhandene Strukturen aufgeklärt, sondern überhaupt erst geschaffen. Nach Ende seiner verdeckten Ermittlertätigkeit hatte sich der Beamte bei einem Lehrgang an der Landespolizeischule im Frühjahr 1996 vor Kollegen mit seinen Erfolgen in der Szene gebrüstet. Sein Auftrag sei es unter anderem gewesen, die von ihm „geschulten“ Neonazis bei den Republikanern unterzubringen. Pech für ihn, daß einer der anwesenden Kollegen für diese Partei im Stuttgarter Landtag saß und den Fall publik machte. 

Hamburgs Innensenator Michael Neumann (SPD) hat unterdessen umfangreiche Veränderungen beim Einsatz verdeckter Ermittler zugesichert. Die Innenrevision habe beim Fall Iris P. festgestellt, daß der verdeckte Einsatz „zum Teil entglitten, Grenzen überschritten worden“ seien. Beim Einsatz von Maria B. dagegen sei alles rechtmäßig gelaufen. Am Instrument der verdeckten Ermittlung jedenfalls will Neumann grundsätzlich festhalten.

Foto: Linksextremes Zentrum „Rote Flora“ in Hamburg: Beobachtungsobjekt der Polizei