© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/15 / 11. September 2015

Hunderttausende neue Hartz-IV-Empfänger
Asylkrise: Angesichts des ungebrochenen Zustroms von Einwanderern ist eine Debatte über die Folgen für die Sozialkassen entbrannt
Christian Schreiber

Eine Meinungsumfrage geriet vergangenes Wochenende in die Schlagzeilen. Demnach glauben 66 Prozent der Deutschen, daß die derzeit zu Hunderttausenden einreisenden Asylbewerber eine zusätzliche Belastung für die Sozialkassen bedeuten werden. Passend hierfür präsentierte Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) jetzt Zahlen, die aufhorchen lassen. So rechnet die Bundesregierung allein für 2016 mit zusätzlichen Ausgaben in Höhe von 1,8 bis 3,3 Milliarden Euro. Diese Kosten würden auf rund sieben Milliarden Euro im Jahr 2019 anwachsen, sagte die Sozialministerin. 

Dabei handelt es sich um Sozialleistungen, die anfallen, sobald ein Flüchtling in der Bundesrepublik anerkannt ist. Nahles schätzt, daß es 2016 zwischen 240.000 und 460.000 zusätzliche Hartz-IV-Empfänger geben werde. Von ihnen dürfen der Prognose zufolge 175.000 bis 335.000 erwerbsfähig sein. Für 2019 geht die Ministerin gar von einer Million Leistungsberechtigten aus. Die SPD-Politikerin warnte aber zugleich vor Panikmache und appellierte, die Situation auch als Chance zu sehen. „Wir haben uns in den letzten Jahren natürlich auf eine andere Form der Zuwanderung eingestellt. Jetzt passiert aber etwas, was man nicht alleine steuern kann. Aber man soll das, was passiert, einfach annehmen, das Beste daraus machen und den Menschen Chancen geben“, sagte sie Tagesschau.de. Wirtschaftsverbände und Politiker verschiedener Parteien hatten in der Vergangenheit wiederholt auf einen angeblichen Fachkräftemangel hingewiesen und ein modernes Einwanderungsgesetz nach kanadischem Modell gefordert. 

Doch von einer qualifizierten Einwanderung kann derzeit nicht geredet werden. Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) Eric Schweitzer, sagte, daß jeder vierte Flüchtling zwischen 16 und 24 Jahre alt sei und „daß zwei Drittel der Flüchtlinge keinerlei Qualifikationen haben. Für diese wird es allerdings schwer.“  Zwar hatte der DIHK zuletzt gefordert, man müsse den Arbeitsmarkt auch für qualifizierte Asylbewerber öffnen, dennoch bleibt Schweitzer skeptisch: „Es gibt sicherlich zunächst Sprachbarrieren. Man kann nicht einfach davon ausgehen, daß wir für die Masse gleich passende Arbeitsplätze finden werden.“ 

„Sie sind alle voller Tatendrang“ 

Arbeitsministerin Nahles ficht dies erst einmal nicht an: „Sie sind alle voller Leistungs- und Tatendrang. Sie haben den gefährlichen und weiten Weg nach Deutschland auf sich genommen, um sich hier etwas Neues aufzubauen.“ Allerdings mußte Nahles auch einräumen, daß für Jobcenter und die Bundesagentur für Arbeit der Ansturm der Flüchtlinge eine Aufgabe ganz neuer Dimension bedeute. Anerkannte Flüchtlinge sollen Deutschkurse erhalten und schließlich Berufsqualifikationen. Dies wolle das Bundesarbeitsministerium finanzieren:  „Ob sich gesetzliche Hürden zum ersten Job abbauen lassen, etwa eine Lockerung der Vorrangprüfung, wird derzeit überprüft“, sagte Nahles. Da Flüchtlinge nicht in die Arbeitslosenversicherung einbezahlt haben, erhalten sie solange Hartz IV.  

Während die Politik permanent auf die Chancen der Zuwanderung hinweist, mischt ausgerechnet der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) Wasser in den Wein. Wie der DGB in seinem aktuellen Ausbildungsreport darlegt, haben es junge Menschen mit Migrationshintergrund ohnehin schon schwer, attraktive Arbeitsplätze zu erhalten. Dies habe eine Vielzahl von Ursachen, es sei aber nicht davon auszugehen, daß die jetzt ankommenden Flüchtlinge, denen es in aller Regel an jeglichen Deutschkenntnissen fehle, bessere Startvoraussetzungen hätten: „Für Migranten bleiben in der Regel nur die unbeliebten Jobs“, heißt es.  

Doch nicht nur die Frage, wie Einwanderer in den Arbeitsmarkt integriert werden können und wie sich die Sozialausgaben entwickeln werden, beschäftigt derzeit die Politik. Auch die Frage nach der Unterbringung der Menschen und einer damit verbundenen Entlastung der Kommunen wird diskutiert. „Der Bund wird die Länder und Kommunen dauerhaft unterstützen, und er braucht auch selbst mehr Geld – beispielsweise für zusätzliches Personal und Sachmittel“, sagte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) der Bild am Sonntag. Ein wichtiges Ziel sei aktuell, alle Flüchtlingsunterkünfte winterfest zu machen.