© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/15 / 11. September 2015

Wir machen uns locker
Von wegen spießig: Eine Studie über die Eigenschaften der Deutschen fördert überraschende Ergebnisse zutage
Katharina Puhst

Die Deutschen werden im Ausland oft als humorlos, verklemmt und pingelig dargestellt. Eben echte Erbsenzähler, denen das leichte Leben fremd ist und die ausschließlich für die Arbeit leben. Doch treffen diese Eigenschaften auf die Deutschen überhaupt noch zu? Der Zeit-Wissenschaftsredakteur Christoph Drösser versucht in seiner Studie „Wie wir Deutschen ticken“ auf Basis von Daten des Marktforschungsinstituts YouGov, die in 555 anschaulichen Graphiken visualisiert worden sind, auf diese Frage eine Antwort zu geben.

Wer also sind die Deutschen? Um ein Volk zu verstehen, ist es unabdingbar, seine Sorgen und Ängste zu kennen. Laut der Studie fürchten 72 Prozent der Befragten das Unglück eines ihnen Nahestehenden. Interessanterweise hat diese Furcht Vorrang gegenüber der Angst vor einem eigenen Unfall, dem mit 60 Prozent weniger Bedeutung beigemessen wird. 58 Prozent ängstigt ebenfalls die Vorstellung von Krieg und Umweltzerstörung. Das persönliche Wohl scheint stark abhängig vom direkten Umfeld: Ist die Welt, mit der wir in Berührung kommen, in Ordnung, geht es unseren Mitmenschen gut, verfügt der Deutsche vorerst über keinen Anlaß, sich Sorgen zu machen – wenn da nicht der Gedanke an Armut und Einsamkeit im Alter wäre. Arbeitslosigkeit scheint unter den Alltagssorgen dagegen kaum eine Rolle zu spielen. 

Groß ist dagegen der Ansporn zur Hilfsbereitschaft. Denn immerhin würden 62 Prozent der Männer sowie 48 Prozent der Frauen einen verletzten Fremden in die eigene Wohnung lassen und sogar einem Verfolgten Unterschlupf gewähren. Die deutsche Generosität wird auch durch die 100 Euro ersichtlich, die die Deutschen durchschnittlich im Jahr spenden.  

Womit der Blick auf das Materielle fällt. Die Deutschen hängen in der Regel an dem, was sie sich anschaffen. Sie wissen schlichtweg das dafür investierte Geld zu schätzen. Das spiegelt sich wenig überraschend beim Auto wider. Zwar ist dieses „nur“ Verbrauchsgegenstand, doch lieben es 69 Prozent der Deutschen. 

Bei den steigenden Preisen wundert es heute nicht mehr, wenn 87 Prozent beim Einkaufen Preise vergleichen und 65 Prozent den Kassenbon kontrollieren. Womöglich stammt der Eindruck, die Deutschen seien ein sparsames Volk, auch daher, daß von höheren Summen in der Regel ein Teil auf das Sparbuch eingezahlt wird, während der andere der Anschaffung von etwas Schönem zufließt. 

Eindeutige Antwort zur Heimat 

Große „Selbstbelohner“ sind die Deutschen, die einen persönlichen Erfolg öfter mit dem Kauf eines lang ersehnten Objekts krönen. Das Kaufverhalten drückt sich dabei allerdings durch zwei Dinge aus: das Angebot und die Notwendigkeit. Auch wenn man sich hin und wieder gerne etwas leistet, geben 35 Prozent der Männer unter den Befragten sowie 46 Prozent der Frauen an, für sich nur ein- bis dreimal im Jahr Kleidung einzukaufen.

Die Deutschen, in permanenter Feierlaune? Nur jeder siebte geht abends häufig aus dem Haus und über die Hälfte besucht seltener als einmal im Monat eine Party. Viele feiern dann aber in Saus und Braus. Bier wird prozentual gesehen häufiger getrunken als Wein, der sich trotzdem größerer Beliebtheit erfreut. Dabei geht es theoretisch stilvoll zu. Benimmregeln werden nach eigenen Angaben von 59 Prozent eingehalten, da sie als Zeichen des Respekts und der Wertschätzung gelten. Ungezogenheiten sind Husten, ohne daß die Hand vor den Mund gehalten wird, Sitzenbleiben von Jüngeren, während ein Kranker, eine Schwangere oder ältere Person stehen müssen, lautes Telefonieren in der Öffentlichkeit sowie dröhnende Musik. 

Auch dem ewigen Thema der Jugend widmet sich die Studie. Mit einem eindeutigen Befund: 79 Prozent der Befragten sind der Ansicht, daß Kindern heute weniger gesellschaftliche Werte vermittelt werden als früher.

Überraschender ist indes ein anderes Ergebnis: Die verbreitete Meinung, Deutsche seien absolute Gesetzesliebhaber und würden kaum gegen Vorschriften verstoßen, ist offenbar ein Vorurteil. Tatsächlich fahren nur 14 Prozent bei einer langanhaltenden Rotphase an einer Ampel nicht über Rot. 38 Prozent warten immerhin zwei bis fünf Minuten, bevor sie Gas geben.

Die Deutschen, so scheint es, sind häufig doch lockerer als ihr Ruf besagt. Sie sind offenbar auch nicht so distanzierte und „verklemmte“ Menschen, wie oft behauptet. Die Studie jedenfalls zeigt, daß Deutsche recht kommunikativ sind und gerne im Austausch mit anderen stehen. Jeder zweite kennt seinen Nachbarn persönlich und kann diesen bei Bedarf um eine Gefälligkeit bitten. Gleichzeitig gaben aber 72 Prozent der Befragten an, sich nur wenigen Menschen gegenüber wirklich zu öffnen. Es scheint fast so, als bestünde ein Mißtrauen, eine schwer änderbare Einstellung, die auch durch den sparsamen Gebrauch des Wortes „Freund“ zum Vorschein kommt. Eine derart hohe „Auszeichnung“ muß nämlich erst einmal verdient sein. Und wie steht es um den Patriotismus? Stolz darauf, Deutsche zu sein, sind 70 Prozent der Befragten. Gern wären 64 Prozent patriotischer, wenn nicht gleich die Gefahr bestünde, als Nationalist abgestempelt zu werden. Bei der Frage nach dem Namen der Heimat gibt es eine eindeutige Antwort: Deutschland. Nur vier Prozent gaben dagegen als Heimat die „BRD“ an. 

Christoph Drösser: Wie wir Deutschen ticken: Wer wir sind. Wie wir denken. Was wir fühlen. Edel-Verlag, Hamburg 2015, broschiert, 192 Seiten, 19,95 Euro

(Grafiken siehe PDF)