© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/15 / 11. September 2015

Die Zeit versinkt im Schlamm
Die Renaissance findet nicht statt: „Es ist schwer, ein Gott zu sein“ ist das filmische Vermächtnis des russischen Regisseurs Alexej German
Sebastian Hennig

Es wird immer fragwürdiger, ob die Vereinigten Staaten von Amerika weiter als das Land der unbegrenzten Möglichkeiten gelten können. Dagegen wird Rußland weiter jenes der unfaßbaren Widersprüche bleiben; ein Land zwischen Rückständigkeit und Himmelstürmerei. Es wäre Zeit, daß auch den westlichen Intellektuellen langsam aufgeht, was jeder unbefangene Kinobesucher spürt, nämlich daß es den großen russischen Autorenfilmern in ihren düsteren Geweben aus Bildern und Klang um mehr geht, als nur das Verhältnis zwischen Individuum und repressivem Staat darzustellen. Gerade die junge Zivilisation Rußlands reagiert sehr feinfühlig auf die Brüchigkeit ihrer Bindung, da die rohen Urstände neben der hohen Kultur verblieben sind. 

Ein halbes Dutzend Werke weist die Filmographie der großen Meister des russischen Films aus, Grigori Kosinzew, Sergej Paradschanow oder Andrej Tarkowski. Der jüngste dieser Patriarchen des sowjetischen Autorenfilms, der 1938 geborene Alexej German, ist vor zwei Jahren gestorben. Sein letztes Filmprojekt nach dem gleichnamigen Roman der Brüder Boris und Arkadi Strugatzki, „Es ist schwer, ein Gott zu sein“, glaubte man schon aufgegeben. Dreizehn Jahre hatte er daran gewerkt, unterdessen hat ihn sein Sohn als Regisseur überholt. Alexej German jun. hat seit 1998 mehr Spielfilme realisiert als sein Vater von 1967 bis an sein Lebensende. Gemeinsam mit seiner Mutter hat er 2013 das Vermächtnis des Vaters fertiggestellt. Nur wenige Details von Nachvertonung und Schnitt haben gefehlt. Jetzt gelangt „Es ist schwer, ein Gott zu sein“ in ausgewählte deutsche Kinos.

Eine nationalistische russische Filmkunst mit neostalinistischer Ästhetik ist im letzten Jahrzehnt zu einem eindrucksvollen Antipoden der Katastrophen- und Kriegsfilme Hollywoods herangewachsen. Inhalt sind überwiegend Mythen und Historien, vom „Ritterfürsten Jaroslaw“ über „Taras Bulba“ bis zu „Der weiße Tiger“.

Diese intelligent gemachten Filme sind nicht mehr als Kinokost für die Unterhaltung und Zerstreuung. Da spricht es für die Vitalität der russischen Filmkunst, daß neben diesen Kassenschlagern mit Breitenwirkung auch das filmische Essay mit Tiefgang und bilderreichem Eigenwillen den Zusammenbruch des Sowjetsystems und die darauf folgende Krise überlebt hat. 

Wir werden mit der ersten Einstellung des Films in eine Breughelsche Winterlandschaft entlassen. So sauber wird es erst wieder am Ende des Films werden. Dazwischen schlittern wir drei Stunden lang durch eine russische Tauwetterperiode. Es gibt einen kurzen Schauer und danach senkt sich Nebel über das Land. Ein Historiker von der Erde wird auf einen Planeten ausgesetzt, dessen Gesellschaft sich in einem Stadium befindet wie das Europa vor achthundert Jahren. Don Rumata gilt als unangreifbar. Alle vermuten seine Abkunft von Göttern. So reitet er umgeben von Sklaven über das Land und muß sich gemein machen mit dem emporgekommenen Gesindel. Die feiner organisierten Menschen, die Fragen an das Dasein haben, welche über die ordinärste Notdurft hinausgehen, leben unter ständiger Gefahr der Auslöschung.

„Eine Renaissance findet nicht statt“, verkündet bereits der Vorspann. Der Geschichtspessimismus könnte darauf verfallen, daß alle Reformbewegungen sich nicht aus innewohnender Notwendigkeit vollziehen, sondern nur, weil ein Mächtiger darin Mittel zu Machterhalt und -ausdehnung erkennt. Dieser notwendige Impuls bleibt in Arkanar aus. Die irdischen Gesandten dürfen nur beobachten und nie selbst in das Geschehen eingreifen.

Immer wieder tappen die Sklavengestalten direkt vor das Kamera-Objektiv und schauen Zuschauer an. Die schmale Oberschicht kämpft sich durch den Gestank mit Nasenklammern. Der Schlamm, der überall aufspritzt, wird nicht mehr vom Gesicht gewischt. Diese Menschen haben keine Spiegel und keine Uhren. Da sitzt einer und stöbert mit einer riesigen Klinge auf seinem irdenen Teller. Rumata zitiert Verse und betrachtet die verblichenen Reste einer Mariendarstellung auf der Mauer.

Der Schriftsteller Umberto Eco ist eine Kapazität im Vorgaukeln eines Mittelaltersbildes, wie es unserer aufgeklärten Eitelkeit gefällt. Neidlos hat er anerkannt, von German darin überholt worden zu sein. Nach der römischen Uraufführung von „Es ist schwer, ein Gott zu sein“ schrieb er, gegen dieses Werk nähmen sich die rabiaten Filme Quentin Tarantinos wie Disney-Märchen aus. Dieser Film rüttelt wirklich an den Pforten der Wahrnehmung. Wer sich drei Stunden lang ununterbrochen dieser Revision der westlichen Vorstellung von Glück und Freiheit aussetzt, der muß zwangsläufig darüber nachdenken, schon aus purem Selbsterhaltungstrieb. Der Film läuft ganz langsam dahin. Die Zeit selbst löst sich auf, sie zerbröselt erst, dann versinkt sie im Schlamm, der dieses düstere Epos grundiert.

Insofern es um die Verhinderung der Renaissance, das Ersticken des Geistes im Schlamm der materialistischen Denkungsart geht, ist der Film von Alexej German ein autobiographisches Vermächtnis.