© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/15 / 18. September 2015

Konrad Paul Liessmann. Der Philosoph provoziert mit ungewöhnlichen Aussagen
Lob der Grenze
Wolfgang Kaufmann

Grenzen töten!“ Mit diesem Motto machen Asyllobbyisten schon seit geraumer Zeit Stimmung für einen ungehinderten Einlaß von Einwanderern nach Europa. Und auch sonst haben Grenzen heute keinen besonders guten Ruf – unabhängig davon, ob es sich um Staatsgrenzen oder biologische, kulturelle und soziale Grenzen handelt. Der Zeitgeist fordert Grenzüberschreitungen, am besten Grenzaufhebungen: Integration und Inklusion sind angesagt.


Insofern schwimmt Konrad Paul Liessmann mit seiner Essaysammlung „Lob der Grenze“, die 2012 erschienen ist, klar gegen den Strom. Das allerdings kann sich der 1953 in Kärnten geborene Autor leisten, denn er ist nicht irgendwer. Zum einen hat der Philosoph einen renommierten Lehrstuhl an der Universität Wien inne, zum anderen avancierte der vielfach preisgekrönte Gelehrte aufgrund seines Talents, komplizierte Gedankengänge in relativ einfache Worte zu fassen, 2006 in Österreich zum „Wissenschaftler des Jahres“. Aus diesem Grund entwickelte das Feuilleton auch keine reflexhafte Abwehr bei der Rezeption der Liessmannschen Apologie der Grenzen, sondern attestierte ebenso artig wie unbestimmt, daß der Verfasser eine „luzide Streitschrift gegen die Schwammigkeit“ vorgelegt habe.


Damit fiel freilich unter den Tisch, mit welcher Deutlichkeit Liessmann schon damals den „Verlust der Grenzkontrolle (...) angesichts zunehmender Migrationsströme“ beklagte, um nachfolgend darzulegen, wieviel humaner und sinnvoller es sei, Grenzen zu sichern statt niederzureißen. Das letztere führe zum Ineinanderfließen von Völkern und Kulturen, woran es nichts Begrüßenswertes gebe, weil dies immer auf existentielle politische Krisen hindeute.


Deshalb prophezeite Liessmann auch, daß die EU nur dann eine Zukunft habe, wenn sie wieder klare Grenzen nach außen und im Inneren ziehe und aufhöre, die „Idee der Toleranz“ zur multinationalen Staatsräson zu erklären. Immerhin sei die frühere Abgrenzung der Nationalstaaten in Europa überhaupt erst die Voraussetzung für deren Entwicklung in Frieden und Wohlstand gewesen. Und genau die erzeuge jetzt die massive Sogwirkung bei den Bewohnern der instabilen Regionen des Nahen Ostens und Nordafrikas, in denen politische und moralische Grenzen praktisch keine Bedeutung mehr besitzen, wie das länderübergreifende Wüten islamischer Terrormilizen beweise.


Allerdings macht Liessmann keine Anstalten, seine Thesen in offensiver Weise in die Debatte einzubringen, obwohl er – noch – zu den wohlgelittenen Interviewpartnern der Leitmedien zählt. Vielleicht aber ist das mittlerweile auch nicht mehr nötig, weil der kaum noch zu beherrschende Flüchtlingsstrom dazu führt, daß der Wert von Grenzen, die das sowohl dem Namen als auch ihrer realen Funktion nach sind, von Tag zu Tag augenfälliger wird.

Konrad Paul Liessmann. Der Philosoph provoziert mit ungewöhnlichen Aussagen