© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/15 / 18. September 2015

Grüße aus Wien
Wien kann so tödlich sein
Von René Lysander Scheibe

Ein Hot dog in der Rechten, eine Dose Helles in der Linken und im Kopf eine diffuse Mischung aus Rausch, Trieb und Walzertakt. Wien kann so schön sein! Oder tödlich!
Um halb fünf Uhr morgens des 16. April 2014 erschütterte eine Explosion Wiens Innenstadt. Ein Mietnomade hatte in dem Eckhaus Hoher Markt/Marc-Aurel-Straße Feuer gelegt. An die 50 Bewohner konnten, teils verletzt, in Sicherheit gebracht werden. Für eine junge Frau kam jede Hilfe zu spät.
Der Hohe Markt, dessen heutiger nördlicher Rand genau dort liegt, wo zur Römerzeit der Limes sich erstreckte, dieser hochgelegene Punkt auch des alten Wien, das sich hinab zur Donau zog, wo heute der Donaukanal in seinem Betonbette öde vor sich hinfließt, dieser Hohe Markt also war schon zu früheren Zeiten Zeuge durchaus niedrigen Treibens. Denn hier befanden sich Narrenkotter, Pranger und Schranne (Stadtgericht). Zu Tode gebracht wurden Übeltäter aller Art und vielleicht auch der eine oder andere Unschuldige durch Hängen, Vierteilen, Verbrennen und Köpfen. Die Schranne wurde 1840 in das heutige Straflandesgericht in der Josefstadt verlegt.
Erst Beschimpfungen, danach flogen die Fäuste und schließlichdie Revolverkugeln.

Zwei Attraktionen bietet der Hohe Markt heute dem Besucher. Am südwestlichen Ende befindet sich die Ankeruhr, eine zwischen zwei Häusern einer Brücke gleichende Kunstuhr, deren volles Spiel täglich zu Mittag erklingt und Persönlichkeiten der österreichischen Geschichte vorstellt. Sie gilt als ein Kleinod des Wiener Jugendstils, und es ist kein einziger Sozialist unter den zwölf Figuren, was nicht nur dem guten Geschmack der Habsburgermonarchie geschuldet ist, sondern wohl auch dem Errichtungsjahr 1914.
Am anderen Ende unseres Platzes befindet sich Wiens bekanntester Würstelstand. Hier gibt es Wurst und Bier bis zum Tagesanbruch, und da letzteres lustig macht und die meisten nicht wissen, wie erstere hergestellt wird, dürften die Umsätze mehr als stattlich sein.
Anno 1904 herrschte am Hohen Markt indes Würstelradau, der am 10. Mai des Jahres eskalierte. Der Betreiber des erfolgreichen Standes nahe der späteren Ankeruhr namens Bachl bekam in Herrn Pruckner einen Konkurrenten, der seinen Stand in unmittelbarer Nähe errichtete. Es kam wie es kommen mußte. Beschimpfungen, dann flogen die Fäuste und schließlich Revolverkugeln. Bachl erschoß Pruckner und unmittelbar danach sich selbst.