© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/15 / 18. September 2015

Putins Periskop in der Nordsee
Übernahmen: Briten wollen Tauschgeschäft zwischen BASF und Gazprom torpedieren / China in Kauflaune
Thomas Fasbender

Wenn es darum geht, die Londoner Immobilienblase aufzupumpen oder die Fußballklubs der Premier League zu finanzieren, sind russische Oligarchen in Großbritannien willkommen. In der Regel spielt es auch keine Rolle, woher ihr märchenhafter Reichtum stammt oder wie sie zur Politik von Präsident Wladimir Putin stehen. In anderen Bereichen dagegen ist die britische Marktwirtschaft weniger freizügig. Schon das zweite Mal in diesem Jahr widersetzen britische Behörden sich dem Erwerb von Öl- und Gasressourcen in der Nordsee durch russische Investoren.
Neuer Streitpunkt ist ein Tausch von Aktiva zwischen der BASF-Tochter Wintershall und dem halbstaatlichen russischen Gazprom-Konzern. Das Geschäft sieht vor, daß die BASF im Upstream-Bereich – Förderung von Öl und Gas in Westsibirien – expandiert und sich im Gegenzug vom europäischen Gashandel und von Gasspeichern in Deutschland und Österreich trennt. Zu den neuen Gazprom-Aktiva gehört eine 50-Prozent-Beteiligung an der Fördergesellschaft Wintershall Noordzee BV. Die Mehrzahl ihrer 22 Ölplattformen liegt zwar innerhalb der 200-Meilen-Zone der Niederländer, doch einige Konzessionen fallen unter britische Jurisdiktion. Dazu gehört die Ölplattform Wingate. Dort werden täglich bis zu drei Millionen Kubikmeter Erdgas gefördert – genug, um 400.000 Haushalte zu versorgen. Die EU-Kommission hat der Transaktion bereits im Dezember 2013 zugestimmt. Dennoch läßt die Kritik aus Großbritannien nicht nach.
Das Tauschgeschäft beunruhigt weite Teile der britischen Öffentlichkeit. Die Londoner Behörde für Energie und Klimaveränderung (DECC) bekundet: „Wir verfolgen die Transaktion und ihre Konsequenzen mit der gleichen Aufmerksamkeit wie jede Vereinbarung, welche die britischen Territorialgewässer betrifft.“ Die Irritationen wurzeln vor allem in der Krise zwischen Rußland und dem Westen. Der Tory-Parlamentarier Sir Gerald Howarth – in Sachen Einwanderung oder Homoehe konservativ-russisch eingestellt – forderte die Regierung auf, ein „klares Signal“ an Putin zu senden. Der 68jährige Verteidigungsexperte und Chef der parteiübergreifenden Ukraine-Gruppe erinnerte an die Milliarden-Übernahme der RWE-Tochter DEA durch die holländische Gesellschaft Letter One im Frühjahr. Diese Firma des Oligarchen Michail Fridman (Chef der Alfa-Gruppe und Vorstandsmitglied des russischen Industriellenverbandes RSPP) kam durch den DEA-Erwerb auch in den Besitz britischer Förderlizenzen in der Nordsee.
Bis heute versucht die englische Politik, Letter One aus der britischen Wirtschaftszone in der Nordsee wieder zu verdrängen. Zuletzt mußte das holländische Unternehmen sich verpflichten, alle Großbritannien betreffenden DEA-Dokumente getrennt von den restlichen DEA-Unterlagen aufzubewahren. Im Fall von Sanktionen gegen die Letter-One-Gruppe oder ihre Eigentümer ist RWE im ersten Jahr nach der Transaktion verpflichtet, die britischen DEA-Aktivitäten zurückzuerwerben.

Nationale Interessen in Deutschland unbekannt?

Trotz des britischen Widerstands wurde das RWE-Geschäft letztlich abgewickelt. London kann derartige Transaktionen nach EU-Recht nicht verbieten, dem Käufer jedoch die Förderlizenzen entziehen. Branchenkenner befürchten, daß der Rohstoffpreisverfall immer mehr Öl- und Gasplattformen in der Nordsee unrentabel macht und diese dann in ausländische Hände übergehen, also auch in russische. Der französische Total-Konzern hat bereits Plattformen im Wert von 900 Millionen Dollar veräußert. Auch Shell will sein Nordsee-Portfolio reduzieren. Der Chef der neuen britischen Öl- und Gasbehörde OGA, Andy Samuel, forderte derweil die einheimischen Förderer auf, ihre Aktivitäten den niedrigen Rohstoffpreisen anzupassen.
Die britischen Bedenken stehen nicht zuletzt im Zusammenhang mit einer möglichen Verschärfung der gegen Rußland gerichteten Sanktionen. Auch in Moskau gilt inzwischen ein westliches Öl-Embargo – sollte die Friedensvereinbarung Minsk-2 scheitern – als nicht mehr ausgeschlossen. Dies beträfe auch die Nordseeplattformen in russischer Hand. Nicht anders war es im Fall Rhum, einer gemeinsamen Firma von BP und der iranischen IOC, deren Ölfeld vor Schottland 2010 über Nacht stillgelegt wurde. Der Moskauer Analyst Alexej Kokin glaubt dennoch an den BASF-Deal. Wenn London die Übernahme der britischen Nordseeplattformen durch Gazprom nicht zulasse, werde man diesen Teil eben ausklammern.
Während englische Wettbewerbshüter den Blick über den Tellerrand richten, sorgen sich ihre Bonner Kollegen vornehmlich um das Klein-Klein des deutschen Binnenmarkts. Die durchaus bedenklichen Übernahmen von Kabel Deutschland durch Vodafone oder Eplus durch Telefónica (O2) wurden durchgewinkt, im Fall Edeka-Kaiser’s-Tengelmann moniert das Bundeskartellamt hingegen „Wettbewerbsbeschränkungen“ (JF 16/15).
Chinesische Käufer haben es da leichter. 2012 hat Sany Heavy Industry den deutschen Betonpumpen-Weltmarktführer Putzmeister übernommen. 2013 verkündete der Milliardär Pan Sutong den Kauf von Gigaset, der ehemaligen Siemens-Telefonsparte. Dem Staatskonzern Weichai Power gehören fast 40 Prozent des Wiesbadener Gabelstapler-Produzenten Kion Group. Nach der Privatbank Hauck & Aufhäuser will der Investor Guo Guangchang die Mehrheit an der Frankfurter BHF-Bank erwerben. Auch die Modefirma Bogner und die Postbank stehen auf dem Programm.
Die Regierung in Peking wolle die Konkurrenzfähigkeit ihrer Unternehmen auf dem Weltmarkt steigern, meint Yi Sun, Leiterin der China Business Services Deutschland, Österreich und Schweiz. Und sie fügt hinzu, in Deutschland erhielten chinesische Unternehmen eben auch Zugang zu Technologien.

Bild: Wintershall-Bohrplattform in der Nordsee: „Wir verfolgen aufmerksam jede Vereinbarung, welche die britischen Territorialgewässer betrifft“