© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/15 / 18. September 2015

Der Wille zu klaren Formen
Klassizismus: Der Architekt Friedrich Weinbrenner prägte das Erscheinungsbild von Karlsruhe / Ausstellung in der Städtischen Galerie
Hans-Georg Meier-Stein

Stadtplanung und Architektur haben zu allen Zeiten ein besonderes Interesse gefunden, sei es im Urteil der Bewohner, deren Blick mit dem Vorgefundenen täglich konfrontiert wird, sei es aus der Touristenperspektive, die ein Stadtbild als Ausdruck einer Lebensart oder wegen seiner historischen Würde bewundert und dabei oft das Verlangen nach Schönheit oder romantischem Behagen befriedigt. Wir erleben in unseren Tagen diese rege Anteilnahme an den großen Kontroversen um die Rekonstruktion von alten Stadtbildern in Berlin und Frankfurt am Main. Hildesheim war in den achtziger Jahren schon vorangegangen und Vorbild geworden.
Karlsruhe zählt mit Berlin, Potsdam und München zu den bedeutenden Städten des Klassizismus. Das ist zum großen Teil Verdienst von Friedrich Weinbrenner, der als großherzoglicher Oberbaudirektor die Aufgabe hatte, die kleine Residenzstadt, die 1806 Hauptstadt Badens geworden war, repräsentativ zu gestalten.
Aus Anlaß des 300jährigen Stadtjubiläums zeigt die Städtische Galerie nun eine sehr sehenswerte Ausstellung zum Leben, Schaffen und Werk Weinbrenners. Die Schau informiert über die Persönlichkeit des bedeutenden Architekten, seine Hinwendung zur neuen bürgerlichen Baukunst des Klassizismus, die gegenüber Barock und Rokoko eine ruhige und klare Formensprache entwickelte.

Gezeigt werden zahlreiche Studienarbeiten Weinbrenners, Entwürfe von Rat, Ball- und Zeughäusern, National- und Grabmonumenten, von herrschaftlichen Villen und Palais, Theaterbauten, Kirchen und Gartenanlagen, Landschaftsskizzen und Zeichnungen antiker Architektur, die Weinbrenner während seiner Italienreise angefertigt hat.
Höhepunkt seines Schaffens war der hier vorgestellte und im Modell nachgebaute Entwurf eins neuen Zentrums für Karlsruhe mit Rathaus, Marktplatz, Stadtkirche, Lyzeum, Schloßstraße, Grabespyramide für den Stadtgründer, Wohn- und Geschäftshäusern, Kanzleigebäuden und kommunalen Bauten am Schloßplatz. Bäder, Markthallen, Handelshäuser, Wirtschaftshöfe, Kasernen, ein Hoftheater und eine Münze erscheinen auch als Architektur einer aufgeklärten bürgerlichen Gesellschaft. Ergänzt werden die Entwürfe und Studien durch Fotos aus der Zeit um die Jahrhundertwende, als diese Baukunst großenteils noch erhalten war.

Außerdem entwarf Weinbrenner Pläne zur Stadterweiterung, hatte doch die stille, kleine Residenz, die zur Hauptstadt eines Mittelstaates im Deutschen Bund geworden war, Anfang des 19. Jahrhunderts einen enormen Bevölkerungszuwachs zu verzeichnen. Als badischem Baudirektor oblag ihm schließlich die bauliche Oberaufsicht im ganzen Großherzogtum.
Auch außerhalb Badens hatte Weinbrenner einen guten Ruf, wie sein Œuvre dokumentiert. So gibt es von ihm Entwürfe für Villen im Aargau und im Elsaß, für Theaterbauten in Schaffhausen und in Leipzig, für ein Siegesdenkmal bei Waterloo, für ein Denkmal für Friedrich den Großen wie für französische Generäle und ein Nationaldenkmal in Bordeaux. Er besaß die deutsche und französische Staatsbürgerschaft und wechselte – wie es ihm opportun und rentabel erschien – rasch entschlossen die Seiten. Auch in Hannover war er zeitweilig als Baudirektor tätig und plante hier den Umbau des Opernhauses und den Neubau von Gefängnissen. Die preußische Oberbaudeputation hat freilich den Plan eines Theaterneuhaus in Düsseldorf abgelehnt, nachdem Friedrich Schinkel ein vernichtendes Urteil gefällt hatte.

Gut dokumentiert wird in der Ausstellung auch Weinbrenners Wirken in seiner eigenen Bauschule in Karlsruhe, aus der die Technische Hochschule hervorgegangen ist. Aus seinem Privatleben werden Bilder seiner Familie, Porträts, Briefe, Widmungen von Freunden und Schülern präsentiert.
Beim Gang durch die Ausstellung sieht der Betrachter, daß Weinbrenners Werk immer vom Willen zur Form erfüllt und gleichzeitig von einer eigentümlichen Anmut und Poesie durchsetzt war. Inspiriert von der antiken und der deutschen Klassik, entwickelte er tiefeingewurzelte Skepsis gegenüber allem Neumodischen. Und diese teilte er mit Goethe, mit dem er 1811 in Weimar und 1815 in Karlsruhe zusammenkam.
Weinbrenners Dominanz in Baden hat seinen Zeitenruhm ausgemacht. In seinem stattlichen klassizistischen Wohnbau in Karlsruhe, gleich neben dem Ettlinger Torbau, residierte der große Künstler wie ein Architektenfürst. Bei aller Hochschätzung, die ihm zuteil wurde, fehlte es indes auch nicht an gelegentlicher Kritik der Karlsruher Bürger an der Monumentalität seiner Bauwerke.

Die alten Stadtansichten und Fotos machen uns heute freilich wieder einmal bewußt, wieviel Schönheit die Moderne zerstört hat.

Bild: Rekonstruktion des Karlsruher Marktplatzes im Zustand des 18. Jahrhunderts, Ansicht von Norden auf die Konkordienkirche, Arthur Valdenaire, um 1930: Architektur einer bürgerlichen Gesellschaft

Die Ausstellung ist bis zum 4. Oktober in der Städtischen Galerie Karlsruhe, Lichthof 10, Lorenzstraße 27, täglich außer montags und dienstags von 10 bis 18 Uhr, Sa./So. ab 11 Uhr, zu sehen. Der Katalog mit 464 Seiten und 478 Abbildungen (Michael Imhof Verlag) kostet 49,95 Euro.
www.weinbrenner-ausstellung.de