© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/15 / 18. September 2015

Blick in die Medien
Fabrizierte Realität
Tobias Dahlbrügge

Ein Bild, buchstäblich zu „schön“, um wahr zu sein: Eine verzweifelte „Flüchtlings“-Mutter klammert ihr Kleinkind an sich, beide liegen schutzlos in einem Gleisbett, ein brutaler Scherge der ungarischen Polizei beugt sich über sie, grob zupackend und zerrend. Ein Schnappschuß mit dem Potential zur Ikone: Wie verzweifelt muß diese arme Frau sein, daß sie sich und ihr Kind lieber vom nächsten Zug überrollen läßt, als die Gewalt quasifaschistischer Polizei-Grobiane zu ertragen?


Das Foto wurde als XL-Hintergrundmotiv bei Maischbergers TV-Talk vor einer Woche eingesetzt, zur Intensivbestrahlung Willkommens-unwilliger, auf daß es ihre harten Herzen und Heime öffnen sollte. Bloß: Das Bild stammt aus einem Video, das etwas anderes zeigt: Ein „Flüchtling“ rastet aus, stößt seine Frau samt Sohn in Raserei auf die Gleise, ein Polizist springt Mutter und Kind zu Hilfe. Währenddessen fordert der Berserker die umstehenden Journalisten mit wilden Gesten auf, schnell auf den Auslöser zu drücken. Scripted Reality nennt man so was bei RTL.

Das ist halt das Dumme mit der Wirklichkeit: Sie paßt sich einfach nicht an Ideologie an.

Ein paar Klicks ins Internet brachten schnell die ganze Szene ans Licht. Das ist halt das Dumme mit der Wirklichkeit: Sie paßt sich einfach nicht an Ideologie an. Während sich der Schweizer Rundfunk für die Ausstrahlung des manipulierten Bildes entschuldigte, juckt das unsere „Buntheits“-Bonzen wenig: Von der JUNGEN FREIHEIT mit dem Sachverhalt konfrontiert, ließ der WDR wissen: Das Foto dokumentiere quasi symbolisch, „wie ungarische Polizisten syrische Flüchtlinge robust aufhalten“. (Was ganz nebenbei ihre Aufgabe ist.) Es sei nicht nötig, den Zuschauern die Hintergründe des Bildes zu erklären, denn: „Eine reflektierte Einordnung der Geschehnisse in Ungarn geschah in der Sendung.“
Beim Lügen ertappt zu werden, ist schon peinlich; aber die Lüge kaltschnäuzig mit einer ebenso frechen Lüge zu leugnen, ist nichts, wofür man die Bürger noch zwingen dürfte, zu bezahlen.