© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/15 / 18. September 2015

Held der Sowjetunion war erfolgreicher Doppelagent
Der sowjetische KGB-Offizier Aleksej Kulak wurde erst nach seinem Tod als US-Agent entlarvt
Jürgen W. Schmidt

Aleksej Kulak kam am 27. März 1922 in einer Moskauer Arbeiterfamilie zur Welt. Zu Kriegsbeginn in eine Artillerieoffiziers schule einberufen, diente er sich bis Kriegsende 1945 zum Oberleutnant hoch. Am 20. April 1945 deckte er während der Kämpfe östlich von Berlin mit seinem Geschützfeuer den Übergang von Infanterieeinheiten über das „ Neuenhagener Mühlenfließ“ und wurde dafür zum „Helden der Sowjetunion“ ernannt. Nach seinem Ausscheiden aus dem Militär 1947 studierte Kulak Chemie an einem renommierten Moskauer Institut und erwarb den Doktortitel.
Nach dem Tod Stalins 1953 erneuerte man den KGB personell grundlegend. Der vormalige Kriegsheld Kulak mit seiner hohen fachlichen Qualifikation kam deshalb als neuer Mitarbeiter gerade recht. Ihn eingerechnet verfügte der KGB seinerzeit über ganze vier Träger des Heldentitels. Man setzte den Naturwissenschaftler, als Erster Botschaftssekretär getarnt, in New York zur Erkundung wissenschaftlicher und technologischer Geheimnisse der USA ein.

Peinliche Aufdeckung
wurde nicht publik gemacht

Kulak gewöhnte sich an das bequeme Leben im Westen und wollte es noch möglichst lange auskosten. Deshalb nahm er 1962 insgeheim Verbindung zum FBI auf, welchem in den USA damals die Spionageabwehr oblag. Das hocherfreute FBI ermöglichte Kulak sogleich, zwei amerikanische Geheimnisträger „anzuwerben“, welche dem KGB wahre und mitunter auch falsche Informationen lieferten. Im Gegenzug informierte Kulak das FBI über die Geheimnisse des KGB  und ermöglichte so unter anderem, den Amerikaner russischer Herkunft John Butenko gerichtsfest zu entlarven, welcher die Geheimnisse der Führungs- und Kommunikationssysteme des Strategischen Luftkommandos an die Russen verriet. Eine echte Win-Win-Situation, denn Kulak erhielt von den Amerikanern Geldprämien und vom KGB einen Orden nach dem anderen für seine angeworbenen, hochkarätigen Spione.
Geschickt lenkte das FBI den aufkommenden Verdacht des KGB für den fortwährenden Ausfall seiner Agenten in der amerikanischen Wissenschaftslandschaft auf die fachliche Unfähigkeit von Kulaks KGB- und Diplomatenkollegen Viktor Lesiowski, dessen Karriere dadurch völlig ruiniert war. So ging es lange Jahre, bis schließlich doch erste vage Verdachtsschatten auf Aleksej Kulak fielen. Man berief ihn aus den USA ab und setzte ihn in den Koordinierungsrat für Wissenschafts- und Technikspionage des KGB um.
Weil man Kulak vorerst nichts beweisen konnte, ihm aber auch nicht mehr richtig traute, wurde er schließlich aus dem KGB entlassen und als Abteilungsleiter im Chemischen Forschungsinstitut „Mendelejew“ eingesetzt, welches er einst 1953 absolvierte. Hier verstarb Kulak am 25. August 1984 an einer tragisch verlaufenden Hirnhautentzündung. Mit militärischen Ehren begrub man den „Helden der Sowjetunion“ und KGB-Oberst a. D. auf dem renommierten Moskauer Kunzewo-Friedhof. Sein früher Tod bewahrte Kulak auch vor der großen Aufdeckung der Doppelspione, die durch die Informationen des FBI-Agenten Robert Hanssen möglich war, als dieser 1985 einige der erfolgreichsten KGB-Agenten im Dienste der USA (Boris Juschin, Walery Martynow und Sergei Motorin) an Moskau meldete, und zudem eine umfangreiche Liste anderer Doppelagenten offenbarte.
Im KGB gingen indessen die internen Untersuchungen in Sachen Kulak weiter. Anfang 1989 verkündete der damalige Chef der für die Auslandsaufklärung zuständigen Ersten Hauptverwaltung des KGB, Generalleutnant Leonid Schebarschin, kryptisch auf einer Versammlung für höhere Mitarbeiter: „Es gab unter uns einen Menschen, den wir für einen Helden hielten und dessen Fotografie an der Ehrentafel hing, der uns aber verriet. Wir werden alles sorgfältig überprüfen und wenn sich das bestätigt, entziehen wir ihm alle Auszeichnungen“. Obwohl Schebarschin hierbei keinen konkreten Namen nannte, tippten viele sogleich auf den verstorbenen Aleksej Kulak.
Am 17. August 1990 entzog der Oberste Sowjet tatsächlich Kulak nachträglich und insgeheim den Ehrentitel „Held der Sowjetunion“ und erkannte ihm gleichfalls seine vielen Orden und Medaillen ab. Allerdings entschloß man sich aus naheliegenden Gründen, die peinliche Angelegenheit nicht publik zu machen. Deshalb ist auf der Grabplatte von Aleksej Kulak auf dem Moskauer Kunzewo-Friedhof immer noch der Titel „Held der Sowjetunion“ eingemeißelt.