© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/15 / 18. September 2015

Streitbare Forschung unter gutmenschlichem Vorbehalt
Hochschulen: Der Jenaer Soziologe Hartmut Rosa plädiert für besser bemäntelte Denkverbote
Dirk Glaser

Nach der Novemberrevolution 1918 tauchte an deutschen Universitäten ein Studententyp auf, den man zu Kaisers Zeiten nicht kannte: der Spitzel und Denunziant. Bildungsgeschichten der Weimarer Zeit nehmen von ihm nur am Rande Notiz, wenn sie auf die „völkische“ und „rechtsradikale Hetze“ gegen linksliberale Professoren verweisen. Während der Vorlesung geäußerte politische Bekenntnisse, nach außen getragen, lieferten tatsächlich gegen Ende der zwanziger Jahre Munition für Kampagnen rechter Studentenverbände gegen prominente Republikfreunde wie den pazifistischen Statistiker Emil J. Gumbel. Doch die Lehrfreit stand schon Jahre vorher zur Disposition, als sich Scharen linker Studenten durch das Republikschutzgesetz von 1922 ermuntert fühlten, Ministerien und Lokalredaktionen in den Hörsälen aktive „Verfassungsfeinde“ anzuzeigen.

„Menschenfeindlichkeit“ verdient Ächtung

Von links und rechts derart gut vorbereitet, wurde die Überwachung von Vorlesungen und Seminaren dann nach 1933 unter nationalsozialistischen Vorzeichen perfektioniert. In der Bundesrepublik kam der mitschreibende „Hörer“ bis 1968 zwar erst einmal aus der Mode, aber die im SED-Staat installierte Gesinnungsdiktatur konnte auf so willige Helfer naturgemäß nicht verzichten. Da gerade beim akademischen Nachwuchs sich die Überzeugung, in der DDR sei schließlich nicht alles schlecht gewesen, weit verbreitet war, rüstete man deren „Antifaschismus“ nach 1990 zum „Antirassismus“ auf. Ermuntert durch expansive „Political Correctness“ und verführt vom unbeschränkte „Verleumdungsfreiheit“ (Regina Mönch, FAZ) gewährenden Potential des Internet, setzte sich die totalitäre Praxis der DDR daher gesamtdeutsch fort.
Jüngste Höhepunkte waren die trotzkistischen Netzattacken auf den Berliner Osteuropahistoriker Jörg Baberowski, den „Revisionisten“ und „Propagandisten einer neuen deutschen Kriegspolitik“, und den gleichfalls als „Bellizisten“ diffamierten Politologen Herfried Münkler, der sich für mitschreibende Seminarspitzel von Linksaußen zudem noch als „Sexist“ und „Rassist“ entpuppt haben soll (JF 22/15).
Daß mit dem Triumph solcher Methoden „streitbare Forschung“ (Jürgen Kaube, FAZ) ihrem Ende entgegengeht, hat nun auch der Jenaer Soziologe Hartmut Rosa erkannt, den der „Fall Münkler“ zur Warnung veranlaßt, es mit den „Denkverboten“ nicht zu weit zu treiben (Philosophie-Magazin, 5/2015). Ob Rosa freilich der beste Anwalt der Freiheit von Lehre und Forschung ist, darf bezweifelt werden. Jahrgang 1965, an angelsächsischen Universitäten ausgebildet, seit 2002 Gastprofessor in New York, ist er seit 2011 Sprecher einer von der DFG geförderten, zum Thema „Landnahme“ arbeitenden Forschergruppe, und – soviel spielerische Assoziation sei erlaubt – war damit offenbar hinreichend qualifiziert, 2013 den derzeit das „helle Deutschland“ zur Besiedlung durch Afrikaner freigebenden Bundespräsidenten Gauck bei seinem Staatsbesuch in Frankreich zu begleiten. Vor diesem Hintergrund ist es jedenfalls nicht verwunderlich, wenn seine Parteinahme für Münkler „Denkverbote“, die „Gift für eine Demokratie“ seien, eher befestigt. Denn „provozierende“ Ansichten wie die über „Vererbung von Intelligenz“, „biologische Unterschiede zwischen Menschen unterschiedlicher Hautfarbe“ oder die „Einzigartigkeit des Holocaust“ sollte man zwar äußern dürfen. Aber nicht um damit „menschenfeindliche Positionen zu legitimieren“. Wer so weit gehe, habe „gesellschaftliche Ächtung verdient“.
Eine „Argumentation“ des angeblichen Fachmanns für „kritische Begriffsgeschichte“, die den Status quo zementiert. Denn Forschung steht damit weiterhin unter dem Diktat jener, die definieren, was als „menschenfeindlich“ dem wissenschaftlichen Diskurs entzogen bleibt.