© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/15 / 18. September 2015

Dem Volk aufs Maul geschaut
So lernt man heute Fremdsprachen: Über 100 Folgen des Youtube-Deutschkurses „Easy German“
Christian Rudolf

Jeder, der sich schon mal mit dem Lernen einer Sprache an der Uni geplagt hat, kennt das phonetische Kabinett als ein nützliches, doch staubtrockenes Hilfsmittel. In einem schallgedämpften Kabuff mit abgestandener Luft lauscht der Studiosus mit gespitzten Ohren überdeutlich ausgesprochenen Wörtern oder unter grammatischen Gesichtspunkten zusammengestellten Dialogen vom Tonband. Eine segensreiche Einrichtung, um die vertrackten lautlichen Eigenheiten fremder Zungen der eigenen beizubringen und beispielsweise den Klang des russischen Weichheits- oder des Härtezeichens zu begreifen: Versuchen Sie mal, den simplen Vornamen Aljoscha akzentfrei auszusprechen – viel Spaß!
Aber klar, um in einer Fremdsprache wirklich zu Hause zu sein, geht man am besten unter Leute, die sie sprechen, nimmt ein Bad in der Menge, taucht regelrecht ein in das „Leben der anderen“, läßt sich ein auf ungewohnte Mentalitäten, nimmt teil an den alltäglichen Verrichtungen der Menschen, hört auf ihre Sorgen und Träume. Und Wörter, die man nicht kapiert: kurz notiert, zu Hause memoriert!
Alle Dialoge mit Übersetzung zum Mitlesen
Sein Deutsch quasi auf der Straße zu verbessern anhand realer Dialoge, die man wie im Kabinett immer wieder anhören kann und dabei nicht einmal nach Deutschland kommen muß – diese drei Fliegen mit einer Klappe schlägt der Deutsch-als-Fremdsprache-Lerner mit der Serie „Easy German ... Learning German from the streets“. Seit 2006 über Youtube verbreitet und für ein Publikum zwischen zwanzig und dreißig gemacht, konnte das sympathische Non-Profit-Projekt junger, interkulturell begeisterter Leute kürzlich seine 100. Episode produzieren. Die Zugriffszahlen pro Ausgabe gehen weit in die Hunderttausende, was sicherlich auch am Charme der quirligen Hauptmoderatorin Carina „Cari“ Schmid aus Münster liegt, seit 2009 Managerin der Macher von „The Global Experience“. Die immer locker-spontan daherkommenden Straßenszenen spielen in den Zentren deutscher Städte: auf dem Wochenmarkt in Münster, auf der „Kö“ in Düsseldorf, auf der „Mö“ in Hamburg, in den Szenekiezen von Berlin – oder Cari nimmt die Zuschauer mit auf den Kölner Karneval. Der Clou an der ganzen Sache: Alle Dialoge laufen auf deutsch mitgeschrieben durchs Bild, darunter mit englischer Übersetzung, bereitgestellt durch Dutzende von Freiwilligen. Wenn das nicht praktisch fürs Einprägen ist!
Aber auch Deutschen selbst geben die Episoden nebenbei Einblick in Land und Leute: Wenn die Moderatoren den Passanten die scheinbar einfachsten Fragen stellen – und Antworten kommen, frisch von der Leber weg. Beispielsweise das in seinen Konnotationen schwer zu übertragende deutsche Wort „gemütlich“ erklärt eine ältere Berliner Dame mit: „Gemütlich ist aber auch irgendwie was körperlich Angenehmes, daß man gut sitzt ... Daß man sich in einem geistigen oder menschlichen Sinne wohlfühlt“. Treffend, nicht? Oder wenn Leute spontan auf die Frage nach ihrem „schönsten Erlebnis“ antworten: „Letztes Jahr, als ich mir den Wunsch erfüllt habe, meinen ersten Hund zu holen“, sagt ein Mann, „Die Geburt meiner Kinder?“ eine Mutter mit fragender Stimme, eine Berliner Studentin gerade raus: „Das erste Mal mit meinem Freund.“
„Was bedeutet Studieren in einem Wort?“ will die Folge „Studentenleben in Fulda“ wissen – „Chillen, lernen und eigentlich noch mehr chillen“, geben drei verpeilte deutsche Sportwissenschaftler über sich Auskunft, die darüber hinaus keinen geraden Satz rausbekommen. „Ohne Fleiß kein Preis. Aber das ist kein Wort. Nichts im Leben ist einfach“, sagt ein anderer Student mit „Migrationshintergrund“.
Unterhaltsam auch für deutsche Muttersprachler
„An Zufall“, „An das Hier und Jetzt“, „das ist schwierig“, „daß am Ende alles gerecht ausgeht im Leben“, „Ach, Gott ... An Gott natürlich!“ – Anworten von Passanten im einstmals tiefkatholischen Münster, die die Episode „Was glaubst du?“ zusammengetragen hat.
Unterhaltsam in jedem Fall! Also, gleich, ob Sie Deutsch als Fremdsprache lernen oder nur mal virtuell durch Deutschland reisen wollen – bald begrüßt Sie Carina wieder mit „Hallo liebe Zuschauer und herzlich willkommen zurück zu einer neuen Episode von ‘Easy German’!“