© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/15 / 25. September 2015

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Ein ungleiches Paar
Cornelius Persdorf

Die Liebe war der Ursprung seiner Kanzlerschaft. Gerhard Schröder wird persönlich, wenn er von seiner Mutter spricht: liebevoll, wenn auch selbst ungeliebt. Ihr Vater ein Militärarzt, der „eine Näherin schwängerte“, ihr Mann ein „fahrender Geselle“, von dem sein Sohn Gerhard erst spät erfuhr, daß er wegen Diebstahl verurteilt wurde. „Wenn man damals Kinder schlug, dann war das weniger schlimm wie Eigentumsdelikte“, Gerhard Schröders Blick entrückt nicht in die Vergangenheit, sondern sucht das Publikum der Buchvorstellung seiner Biographie durch Bundeskanzlerin Angela Merkel. „Wir sind nie geschlagen worden“, der Altkanzler strahlt am Dienstag in den überfüllten Raum im Haus der Bundespressekonferenz. „Ich fand es schön, wie dargestellt wurde, was meine Mutter geleistet hat“, lobte Schröder den Autor der Biographie, Gregor Schöllgen. 

So dankbar er sich gegenüber der ersten großen Liebe seines Lebens zeigte, so wenig beklagte er die Zustände in der schwierigen Nachkriegszeit. Im Gegenteil: Statt mit seinen unvermittelten Nebensätzen überraschte der Kanzler mit einem Lob an die angeblich so bleierne Adenauer- und Erhardzeit: „Die Deutsche Nachkriegsgesellschaft war eine sehr offene Gesellschaft.“ Eine erstaunliche Offenbarung für den ehemaligen Regierungschef, dessen grüne Koalitionspartner gern das Bild einer stickigen, von grauen Männern gelenkten Republik zeichneten, in deren Ecken von Wasserwerfern oder Schlagstöcken getroffene Studenten kauern. 

Der Charismatiker blickt ungewohnt skeptisch bei der Frage, ob die damalige „offene Gesellschaft beibehalten“ werden könne. Er bezeichnet Schöllgens Biographie als „überraschendes Buch“, dessen persönliche Seite ihn mehr beeindruckt habe als die politische. Merkel, die das Buch vorstellte und kommentierte, hört ihm mit ihrem sphinxhaften Gesichtsausdruck zu. Sie führte seine bewegte Lebensgeschichte aus ihrer Perspektive fort von dem Moment, an dem sie ihn kennenlernte. Es war 1990 in einer für die CDU überraschend dunklen Stunde. „Die Stimmung war für uns damals eher schwierig“, resümierte die Kanzlerin, die damals gerade Bundesumweltministerin geworden war. Niedersachsens Ministerpräsident Ernst Albrecht (CDU) verlor die Wahl gegen den sozialdemokratischen Heißsporn Gerhard Schröder – und die Union damit die Mehrheit im Bundesrat. Ihre Umweltreformen mußte Merkel fortan mit Schröder koordinieren, dessen „Fähigkeit zum Pragmatismus“ sie fast so sehr beeindruckte wie seine „eigenwilligen Ansichten zur deutschen Einheit“ – positiv wie negativ. Ruppig wehrte er ihr Gesuch in der Castor-Transport-Frage ab, pragmatisch-kooperativ zeigte er sich 1995 bei ihrer Reform zur Vermeidung von Sommersmog. Zehn Jahre später, bei der Amtsübergabe im Bundeskanzleramt, öffnete Schröder für Merkel den Tresor: „Da waren die Uhren von Berlusconi!“ der „Genosse der Bosse“ lacht so dröhnend wie in der Elefantenrunde 2005, das furiose Finale des ungleichen Paars.    

Eine Besprechung des Buches erscheint in der JF-Ausgabe 43/15