© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/15 / 25. September 2015

Zwist auf dem Balkan
Zuwanderungskrise: Überfordert vom Ansturm verlieren die Staaten die Übersicht
Carl Gustaf Ströhm

Natürlich zeigt Kroatien seine Hilfsbereitschaft, aber wir müssen an erster Stelle an die Sicherheit unserer Bürger und die Stabilität des Landes denken“, betonte die kroatische Präsidentin Kolinda Grabar-Kitarovic  (HDZ) anläßlich des Migrantenstromes, der Kroatien erreicht hat. Völlig unvorbereitet traf die sogenannte „Flüchtlingswelle“ ein. Innerhalb weniger Tage wurden verlassene Grenzposten wieder aufgerüstet. Auffanglager in Slowenien sind bereits zum Bersten belegt. Es waren Zehntausende, die die überforderten Polizisten zur Seite stießen und die Grenze überquerten. Andere   suchten sich über die Maisfelder ihr Weiterkommen zu sichern.

 An der Grenzstation Tovarnik spitzte sich die Lage zu, als dortige Grenzpolizisten eine Ansammlung von rund 100 Syrern und Afghanen auseinanderhalten mußten. Tovarnik ist das beste Beispiel, wie Kroatien mit den Zuständen überfordert ist. Augenzeugen zufolge wurden Geschäfte komplett leergeräumt und die Felder der Bauern einfach von den Massen niedergetreten. Angesichts dieser Bilder sind die Kroaten bezüglich der Flüchtlinge sehr skeptisch geworden.

Serbien erzürnt über die Politik Kroatiens 

Vor diesen Ereignissen zeigte sich Zagrab noch überzeugt, die von Brüssel geforderte Quote erfüllen zu können. Man erinnerte an die Zeit der Kriegswirren, als in Kroatien Tausende Flüchtlinge, vor allem aus Bosnien und Herzegowina, in Kroatien Schutz suchten. Die Bilder die Kroatien jetzt zu sehen bekommt, sind gänzlich andere. Waren es damals meist Frauen und Kinder, die Zuflucht suchten, sind es jetzt in erster Linie junge Männer, die wegen ihres Zwangsaufenthalts in Kroatien entsprechend gereizt auf jedwede Polizeipräsenz reagieren. 

Als die Situation immer unübersichtlicher wurde, entschied die kroatische Regierung, die Grenzposten zu Serbien zu schließen. Jene „Flüchtlinge“, die schon im Land waren, werden weiter über Slowenien oder Ungarn nach Österreich geschickt. Seit vergangener Woche erreichten rund 29.000 Menschen Kroatien. Das sind offizielle Zahlen. Wie viele es tatsächlich sind und wie viele das Land bereits wieder verlassen haben, kann nur grob geschätzt werden. 

Angesichts des Ansturms steigt auf dem Balkan die Nervosität. Serbiens Premier Aleksandar Vucic forderte  die sofortige Öffnung der Grenzen zu Kroatien. Einzig der Grenzübergang Bajagovo sei noch als Nadelöhr geöffnet. „Wenn die kroatische Regierung unsere Forderungen nicht erfüllt, werden wir mit entsprechenden Gegenmaßnahmen antworten“, drohte Vucic. Parallel dazu wurden im ungarischen Magyarbóly 40 kroatische Polizisten verhaftet, die einen Zug voller Migranten von Kroatien nach Ungarn eskortierten. Der ungarische Regierungssprecher Zoltán Kovacs kritisierte, daß dies „ohne jegliche Absprache“ geschehen sei und daher einen klaren Grenzverstoß darstelle.