© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/15 / 25. September 2015

Ein Höchstmaß an Freiheit
Mit Blick auf die Migrantenströme wiedergelesen: Friedrich August von Hayeks „Weg in die Knechtschaft“
Markus Brandstetter

Der österreichische Politökonom und Sozialphilosoph Friedrich August von Hayek hat wie kaum ein anderer im 20. Jahrhundert über die Grundlagen und Voraussetzungen einer freiheitlichen und gerechten politischen Ordnung nachgedacht. Hayek war einer der politischen Denker, die sich nicht damit beschäftigt haben, wie man Menschen, Staaten und irgendwann die ganze Welt durch einen Kindermädchen-Staat, der alles kann, alles weiß und vollkommen gerecht ist, zwanghaft beglückt – nein, Hayek hat sein Leben lang darüber nachgedacht, wie Staat, Gesellschaft und politische Ordnung aussehen sollten, um jedem einzelnen ein Höchstmaß der Freiheit zu geben, die ihm zukommt.

Hayek hat viele Bücher geschrieben, aber die meisten davon sind dermaßen kompliziert und trocken, daß Laien damit nicht viel anfangen können. Ein Buch Hayeks jedoch, das den eingängigen Titel „The Road to Serfdom“ („Der Weg zur Knechtschaft“) trägt, ist so klar und allgemeinverständlich, daß eine Kurzfassung davon einst im Magazin Reader’s Digest erscheinen konnte, was das schmale Büchlein zu einem Weltbestseller gemacht hat.

In dieser Schrift aus dem Jahr 1944 legt Hayek mit großer Klarheit dar, warum eine Planwirtschaft auf Dauer nicht funktionieren kann – und prognostiziert damit so ganz nebenbei den 45 Jahre später tatsächlich eingetretenen Untergang des Sowjetreiches. Zudem demonstriert Hayek, warum eine Planwirtschaft, die schon auf der Ebene des Nationalstaates nicht funktioniert, auf der Ebene einer Staatengemeinschaft noch viel weniger praktikabel wäre. Mit großem Scharfsinn zeigt Hayek, warum ein internationaler Superstaat, der ebenso auf der wirtschaftlichen Angleichung wie der administrativen, juristischen und politischen Vereinheitlichung der in ihm zusammengefaßten Nationalstaaten beruht, zu nichts anderem als zur Unterdrückung seiner Bürger, zur Marginalisierung ganzer Klassen und Regionen und im Endeffekt zu Unfreiheit, Ungerechtigkeit und Aushöhlung der Demokratie führte.

Vorausschauend schrieb der österreichische Ökonom bereits 1944: „Wer glaubt denn, daß es gemeinsame Ideale in puncto Verteilungsgerechtigkeit gibt, die den norwegischen Fischer dazu bringen, auf wirtschaftliche Vorteile zu verzichten, nur um seinem portugiesischen Kollegen zu helfen? Und was sollte den holländischen Arbeiter davon überzeugen, mehr für sein Auto zu bezahlen, um dem britischen Mechaniker zu helfen? Was den französischen Bauern dazu bewegen, höhere Steuern zu akzeptieren, damit es mit der Industrialisierung Italiens vorangeht?“

Hayek sagt klar, daß Solidarität zwischen Menschengruppen zumindest in unserer Zeit nur zwischen Menschen eines Staates existiert und die Staatengrenzen kaum jemals überschreitet.

Aber Hayek sagt noch mehr: Er stellt die schiere Möglichkeit, daß ein planerisches Zentralorgan – auch wenn es demokratisch gewählt ist – gerecht, legitim und von allen akzeptiert das Wohlergehen unterschiedlichster Menschengruppen in allen Provinzen erst bestimmen und dann organisieren könnte, absolut in Frage. 

„Es gibt“, schreibt Hayek, „keine Grundlage, auf der wir entscheiden könnten, ob die Ansprüche des armen rumänischen Bauern dringender wären als die eines noch ärmeren Albaners; niemand kann entscheiden, ob die Bedürfnisse des slowakischen Alpenhirten größer wären als die seines slowenischen Kollegen.“

Hayek hat hier eines der zentralen Themen auf den Punkt gebracht, das in diesen Wochen die Debatte um die Verteilung der Flüchtlinge auf die verschiedenen EU-Staaten bestimmt: Wer sagt eigentlich, welcher EU-Staat wie viele Flüchtlinge aufnehmen kann oder soll? Und wer schreibt welche Quoten wem eigentlich genau vor?

Denn darum geht es im Augenblick ja: Immer neue und immer größere Wellen von Flüchtlingen aus den Anrainerstaaten der arabischen Mittelmeerländer, aus Albanien, dem Irak, Somalia, Pakistan und Afghanistan branden in den EU-Ländern an. Deutsche und Franzosen haben sich nun selbst die Aufgabe gestellt, andere EU-Regierungen dazu zu bewegen, mehr Flüchtlinge aufzunehmen – auch wenn diese Länder dies entweder nicht können oder nicht wollen, weil sie – wie Großbritannien, Ungarn oder die baltischen Staaten – Regierungen haben, die mit dem Mandat gewählt wurden, die Anzahl an Migranten zu verringern.

Hinter der deutschen Aufforderung, mehr Asylanten aufzunehmen, stecken drei Dinge: Arroganz, Ignoranz und die Gewißheit, genau zu wissen, was für die anderen EU-Staaten und natürlich die Asylbewerber gut sei – dabei wäre doch genau danach erst einmal zu fragen.

Selbst wenn wir annähmen, daß die Bundesregierung mit der Aufnahme so vieler Flüchtlinge humanitäre Ziele im Auge hätte, was keineswegs geklärt ist, bedeutet, das Gute zu wollen, noch lange nicht, es auch zu erreichen. Großbritannien ist seit Jahrzehnten eine stark multikulturelle Gesellschaft, hat jedoch – denken wir an den Skandal von Rotherham, wo 1.400 Kinder und Jugendliche von einer britisch-pakistanischen Bande Pädophiler mißbraucht wurden – damit nicht nur gute Erfahrungen gemacht. Die Niederlande und Finnland sind zu klein, die Slowakei und Ungarn kulturell zu homogen, um große Mengen an Asylanten aufzunehmen.

Und überhaupt wäre doch erst einmal zu fragen, ob auch den Asylbewerbern damit ein Gefallen getan ist, wenn sie, auf Sozialhilfe und Almosen angewiesen, in Notunterkünften leben müssen, ohne die Möglichkeit zu einer sinnvollen Integration in die aufnehmende Gesellschaft zu haben. 

Anstatt andere Länder dazu zu bewegen, Turnhallen, Wohnheime und die Staatskassen für Asylbewerber zu öffnen, sollte sich die Bundesregierung um die politischen Ursachen des Flüchtlingselends kümmern. Die Ströme der Asylbewerber sind doch nur ein Symptom für eine weltweite Krise muslimischer Staaten, die nicht in der Lage sind, friedliche Zivilgesellschaften aufzubauen, die ihren Bürgern ein Mindestmaß an Stabilität, Gerechtigkeit und sozialer Grundversorgung böten.