© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/15 / 25. September 2015

Wo der Pfähler wohnt
Land voll Gold und Rebensaft: Schmucke Altstädte, Kirchenburgen und eine düstere Filmgestalt – Erkundungen in Siebenbürgen, wo heute nur noch wenige Deutsche leben
Hinrich Rohbohm

Endlos schlängelt sich die leere Straße durch die hügelige Landschaft. Eine Landschaft mit saftig grünen Wiesen, korngoldigen Feldern und schneebedeckten Bergkuppen am Horizont. Siebenbürgen. „Land der Fülle und der Kraft, mit dem Gürtel der Karpaten um das grüne Kleid der Saaten, Land voll Gold und Rebensaft“, heißt es in der ersten Strophe des Siebenbürgenliedes, der Landeshymne der Siebenbürger Sachsen. Eine Region, die heute zu Rumänien gehört. Noch vor hundert Jahren war sie Bestandteil der k.u.k-Monarchie Österreich-Ungarn. Heimat der Siebenbürger Sachsen, die die Gegend vom Mittelalter an geprägt haben. Schmucke Altstädte sowie zahlreiche Kirchen und Kirchenburgen sind Zeugnisse ihres Wirkens. Nur die Menschen sind verschwunden.

„In ganz Rumänien leben gerade mal noch 30.000 Deutsche“, erzählt eine Mitarbeiterin des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien (DFDR) der JUNGEN FREIHEIT. Das Ende 1989 gegründete Forum hat seinen Sitz am Großen Ring in Hermannstadt, jenes mächtigen Marktplatzes, um den sich die restaurierten historischen Häuser mit ihren schmückenden Giebeln und Gauben reihen. Auch das Samuel von Bruken-thal-Gymnasium, eine deutsche Schule, befindet sich hier ganz in der Nähe. Nur noch bei zwei Prozent der Schüler seien beide Elternteile Deutsche, sagt die DFDR-Mitarbeiterin.

Die Bildungseinrichtung liegt am Huetplatz gegenüber vom Café Wien und der imposanten evangelischen Stadtpfarrkirche, deren spitze Türme mit ihren bunten Dachschindeln ein wenig an ein Gebäude aus dem Märchenland erinnern. Besucher können den 73 Meter hohen Hauptturm des Gotteshauses besteigen. Oben angekommen werden sie mit einer phantastischen Aussicht auf das historische Hermannstadt belohnt. Es ist ein Blick auf alte Dächer, die schon vor hundert Jahren genau so ausgesehen haben dürften. Gleichzeitig ein Blick auf renovierte Kirchen und Gebäude, in denen sich heute Restaurants, Cafés, Hotels oder Museen befinden.

Eines davon ist das Brukenthal-Museum. Wie das Gymnasium benannt nach Samuel Freiherr von Brukenthal, einem Siebenbürger Sachsen, der Ende des 18. Jahrhunderts als Gouverneur von Siebenbürgen wirkte und auch Stifter des Museums war. In dem barocken Palais gegenüber dem Rathaus ist ein Großteil der sogenannten Brukenthal-Sammlung untergebracht. Darunter rund 1.200 Gemälde der wichtigsten europäischen Künstlerschulen des 15. bis 18. Jahrhunderts mit Werken aus dem Barock, dem Rokoko und der Renaissance sowie eine Bibliothek mit 300.000 Einzelstücken.

Der Samuel von Brukenthal des 21. Jahrhunderts ist ebenfalls Siebenbürger Sachse und heißt Klaus Johannis. Der 56jährige war im Jahr 2000 als Deutscher zum Bürgermeister von Hermannstadt gewählt worden. „Pfff..., wenn ihr meint“, hatte er damals gegenüber dem DFDR lapidar seine Bereitschaft zur Kandidatur erklärt. „Der Deutsche“, wie er sich selbst mit Erfolg vermarktet, ist längst als das sogenannte Johannis-Wunder zur lebenden Legende und zum Hoffnungsträger unter den dezimierten Siebenbürger Sachsen geworden. Seine gute Arbeit für die Stadt hatte sich bis Bukarest herumgesprochen. Seit einem Jahr ist er als Deutscher rumänischer Regierungschef.

Der Grund für das Vertrauen liegt im Wesen der Siebenbürger Sachsen begründet, denen im Land seit jeher der Ruf von Fleiß, Zuverlässigkeit und Wohlstand vorauseilt. Die von ihnen zumeist schon im Mittelalter erbauten Kirchenburgen sind in vielen ländlichen Orten der Region noch heute zu bestaunen. Etwa die von Deutsch-Weißkirch, die heute ebenso wie die Kirchenburg von Birthälm auf der Liste des Weltkulturerbes der Unesco steht. Im Mittelalter dienten sie einst als Festung und Zufluchtsort vor Überfällen plündernder Horden, die nicht selten in das Land einfielen. Doch es gibt auch zahlreiche kleinere Kirchenbauten, wie etwa die im keine 30 Autominuten von Hermannstadt entfernten Örtchen Rothberg.

Pfarrer predigt vor zumeist leeren Bänken

Hier lebt der Pfarrer und Schriftsteller Eginald Schlattner. Obwohl eigentlich nicht mehr im Dienst, predigt er jeden Sonntag in seiner bereits im 13. Jahrhundert erbauten evangelischen Kirche, einem Gebäude mit Barockaltar und imposantem Wehrturm. Die Bänke sind zumeist leer, die meisten Siebenbürger Sachsen längst nach Deutschland ausgewandert. Schlattner will die Kirche dennoch erhalten, will sie renovieren. Der 82jährige lebt allein auf seinem Pfarranwesen. Ohne Internet, ohne Telefon. Pferde grasen vor der Kirche. Auf der Straße spielen Zigeunerkinder. Es ist ein Ort, in dem die Zeit stehengeblieben zu sein scheint.

So, wie in vielen der kleinen Dörfer, die sich an die Landstraße Richtung Agnetheln schmiegen. Alte Männer und Frauen, zumeist Zigeuner, sitzen im Schatten vor ihren Häusern, blicken unentwegt auf die Straße. Die Männer tragen große schwarze Hüte, die Frauen Trachtenkleider. Hühner laufen auf der Fahrbahn umher. Gelegentlich kreuzt ein Pferdewagen mit Heu den Weg. Ein Bild, das sich auch in dem 1.500-Seelen-Ort Henndorf zeigt. Hier steht die sanierte Andreaskirche mit ihrer steinernen Kirchburg. Ein Schild in deutscher Sprache weist darauf hin, daß in dem Bau auch ein Dorf- und Heimatmuseum existiert. Doch Deutsche gibt es auch in diesem Dorf kaum noch. Inzwischen sollen weniger als zehn von ihnen noch hier leben.

Auch das etwa 15 Kilometer von Schäßburg entfernte Dorf Trappold kann inzwischen wieder auf seine Kirchenburg stolz sein. Das war nicht immer so. Nachdem der letzte als Burghüter fungierende Siebenbürger Sachse ausgewandert war, drohte das Bauwerk zu verrotten. Doch ein gelernter Schreiner aus Deutschland nahm sich des Gebäudes an, zog in das Pfarrhaus und gründete einen Verein zum Erhalt der Kirchburg. Heute hat sich der Bau zu einer attraktiven Touristenattraktion entwickelt.

Touristen kommen wegen Dracula

Ein regelrechter Touristenmagnet ist in Siebenbürgen hingegen die Stadt Schäßburg. Den Grund für ihre Bekanntheit sehen die Einheimischen jedoch mit gemischten Gefühlen. Denn Schäßburgs prominenteste Person ist der Fürst der Finsternis höchstpersönlich, Graf Dracula. Durch Bram Stokers Gruselroman weltweit bekannt geworden, ist der Menschenblut trinkende Vampir zur Assoziationsfigur geworden, die in den Köpfen der Touristen Siebenbürgen in Transsilvanien verwandelt hat. Denn Transsilvanien, wie die Region eben auch heißt, ist die Heimatregion des Vampirfürsten, dessen Bekanntheitsgrad sich durch unzählige Dracula-Filme stetig erhöht.

Doch während Stokers Romanfigur reine Erfindung ist, hat es ihn, Vlad Tepes, den Pfähler, wie ihn seine Feinde nannten, wirklich gegeben. Schäßburg ist der Geburtsort des Fürsten, der den irischen Schriftsteller für sein Dracula-Werk inspirierte. In dem Geburtshaus befindet sich heute ein Restaurant. Der Name der Gastronomie überrascht nicht: Casa Vlad Dracul. „Natürlich ist es schön, daß viele Touristen zu uns kommen, aber es ist auch frustrierend, wenn die Heimat immer mit einer düsteren Filmgestalt in Verbindung gebracht wird“, sagt ein junger rumänischer Familienvater, der in Schäßburg geboren und aufgewachsen ist. Dabei habe der Ort mit seiner schönen Altstadt doch noch andere Dinge zu bieten, meint er.

Die Touristen kommen dennoch hauptsächlich wegen Dracula. „Klar sind wir vor allem deswegen hier“, bestätigt ein älteres Ehepaar aus Neuss in Nordrhein-Westfalen. „Die Kirchenburgen sind natürlich viel schöner, aber diese Dracula-Figur übt eben doch eine gewisse Neugier aus, den Ort möchte man einfach mal gesehen haben“, sagt die Frau, die sich auch bereits eines der zahlreichen zum Verkauf angebotenen Vlad-Tepes-Andenken gekauft hat. Dennoch räumt sie ein: „das Schönste an Siebenbürgen bleibt aber die malerische Landschaft.“