© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/15 / 25. September 2015

Der Flaneur
Sprache des Volkes
Sebastian Hennig

Auf der Fußgängerzone schnattern die Mädchen: „Du, Anni, was haben die Tauben für Schwüre?“, „Geschwüre!“ Das Touristenehepaar weist sich beim Überschreiten der Brücke auf die Sehenswürdigkeiten des Florenz an der Elbe hin. Sie hat unterdessen von jenem einzigartigen Museum der Stadt vernommen, dem inzwischen mehr Besucher zustreben, als der berühmten Gemäldegalerie oder dem Grünen Gewölbe. Sie fragt ihren Gatten: „Wo ist denn das hygienische Museum?“ „Das ist von hier aus nicht zu sehen.“ Wenn es aber ein Hygienemuseum gibt, dann fehlt uns noch ein musisches Hygieum. Warum eigentlich werden alle Ausstellungsbauten, ob Militärmuseum, Verkehrsmuseum und technische Sammlungen, den neun Töchtern der Mnemosyne geweiht, obwohl sie doch dem Mars, dem Merkur und dem Vulkan zuzuordnen wären?

„Was hat der Schweine-mann da am Mund, was die Frau nicht hat? Richtig: Hauer.“

Ich werde Zeuge einer Recherche vor der Bäckertheke: „Was war das gestern für ein grünes Zeuch auf dem Baguette?“ „Das war Pesto“, „Hätt’ste mir das mal gesacht. Der hat das alles weggehau’n.“ Ans unförmige Baguette hat sich der Semmelesser längst gewöhnt. Das grüne Zeug wird er wohl erst noch lieben lernen müssen. Der weltoffene und bunte Deutsche wird auch das souverän bewältigen.

An der Bahnschranke findet sich eine Wartegemeinschaft zusammen. Die Männer fahren seit Jahrzehnten mit dem Fahrrad zur Arbeit. Ihre Söhne und Töchter parken den Betriebsparkplatz mit ihren Wagen zu. Die Herren tragen alle Schirmmützen im US-amerikanischen Stil. Der Spätsommermorgen zeigt sich von seiner frischen Seite. Dann bricht einer aus der Schar das allgemeine Schweigen mit dem Eingeständnis: „Da friert man an den Ohren. Aber meine Frau hat die ausgesucht.“ Die andern nicken bedächtig zu den Worten ihres Gefährten.

Am Zaun eines Geheges schaut und staunt die Kindergartengruppe. Da rüsseln die halbwilden Schweine im Morast. Die Erzieherin fragt die Kleinen: „Was hat der Schweinemann da am Mund, was die Frau nicht hat? Richtig: Hauer.“ Damit kann er in den Sack hauen, dieser Sau-Gemahl.