© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/15 / 02. Oktober 2015

Die Zukunft sieht düster aus
DIA-Forum 2015: Hans-Werner Sinn sieht das heutige Rentensystem vor dem Aus / Längere Lebensarbeitszeit, geregelte Einwanderung und Kinderrente gefordert
Christian Dorn

Wenn das 1997 gegründete Deutsche Institut für Altersvorsorge (DIA) einlädt, läßt sich meist bereits im voraus ahnen, worum es letztlich geht: einen Gutteil des deutschen Rentensystems möglichst dem privaten Finanzsektor im allgemeinen und den DIA-Gesellschaftern Deutsche Bank, ihrer Bauspar AG, der DWS Investment GmbH oder dem Deutschen Herold im speziellen anzuvertrauen.

Doch neben der reinen Lobbyarbeit und eher skurrilen Podiumsgesprächen mit Ex-Arbeitsminister Walter Riester (SPD) gibt es auch Veranstaltungen, die nicht in dieses Raster passen – etwa wenn das konservative Institut für Demographie, Allgemeinwohl und Familie (Idaf) beteiligt ist und „Deutschlands Ökonom Nummer eins“, Hans-Werner Sinn, die „tickende demographische Zeitbombe“ (DIA-Sprecher und Ex-Deutsche-Welle-Intendant Dieter Weirich) analysiert.

Ohne Kinder geht das Rentensystem zu Grunde

In seinem Vortrag, dem vorige Woche im Alten Stadthaus Berlin auch Allianz-Manager lauschten, resümierte der Chef des Ifo-Instituts die Ursachen des deutschen Geburtendefizits, dessen Folgen und die sich hieraus ergebenden politischen Implikationen, die wohl auch Thomas Oppermann gefallen hätten, freilich nur bei selektivem Zuhören.

Hatte doch der SPD-Fraktionschef behauptet, daß viele Flüchtlinge „eines Tages die Rente für die heutige Erwerbsgeneration bezahlen“ würden, und „die Aufgabe, eine Million Flüchtlinge zu integrieren“, als „eine große Chance für unser Land und die alternde Gesellschaft“ bezeichnet. Dies mag kurzfristig verlockend erscheinen, hat Deutschland doch eine der niedrigsten Geburtenraten: Auf jede Frau in Deutschland kämen derzeit nur 1,38 Kinder, was 8,5 Kindern auf 1.000 Einwohner entspreche. Rechne man die Migrantenkinder heraus, reduziere sich diese Zahl auf nur noch 6,4 Kinder. Begünstigt werde dies durch eine mediale Kultur, die den „Störfaktor Kind“ (so eine Stern-Titelseite) herausstelle, meinte Sinn. Ausdruck hierfür seien Buchtitel wie „No Kid. 40 Gründe, keine Kinder zu haben“ (Corinne Maier) oder auch – um Sinn zu ergänzen – „Die Uhr, die nicht tickt: Kinderlos glücklich“ (Sarah Diehl) und „Kinderfrei oder warum Menschen ohne Kinder keine Sozialschmarotzer sind“ (Nicole Huber).

Die Eltern der Babyboomer von 1964 seien die Kinder des Babybooms von 1940 gewesen – beispielhaft zeigte Sinn hier ein Foto von Joachim Gauck. In Deutschland, wie auch in Frankreich, habe gerade der Krieg den entscheidenden Impetus zur Kindererzeugung gegeben – als wollte Sinn Nietzsches Diktum bestätigen, das den Krieg als den „Vater aller guten Dinge“ bezeichnet. Doch nichts ist gut: Mußten im Jahr 2000 in Deutschland 24 Menschen arbeiten, um einen alten Menschen zu versorgen, wären 2020 hierfür 32 Menschen im Arbeitsleben nötig, im Jahr 2030 dann schon 47 und im Jahr 2035 schließlich 55 Menschen im Erwerbsleben zur Ernährung eines Rentners – bei völliger Beibehaltung des heutigen Rentensystems und -niveaus.

Deswegen gebe es wenige Alternativen: Die Beitragszahlungen verdoppeln oder die Rente halbieren. Alternativ könnte auch das Rentenalter auf 77 Jahre heraufgesetzt werden. „Diese Prognosen sind gewagt – aber nicht so gewagt wie die offiziellen Prognosen zum Wirtschaftswachstum im nächsten Jahr.“ Da Deutschland „auf dem Wege in die Gerontokratie“ sei, warb Sinn für eine eher praktische Form der Altersvorsorge: „Bevor Sie riestern, kaufen Sie sich bei einem Altenheim ein!“

Vor Bismarcks Rentenversicherung habe gegolten: „Wer keine Kinder hatte, hatte ein Unglück zu gewähren.“ Diese Logik bestehe in der volkswirtschaftlichen Gesamtbilanz bis heute. Das umlagefinanzierte Rentensystem produziere aber eine „Vollkasko-Mentalität gegen Kinderlosigkeit“. Beispielhaft für diese Ungerechtigkeit sei das Mütterrentenurteil von 1992: Die klagende Mutter bezog nur 150 D-Mark Rente pro Monat, während ihre fünf Kinder 3.250 D-Mark einzahlten. Der deutsche Staat habe bei der Rente „genauso geschummelt wie VW“, witzelte Sinn. 

Deutsche Rentenanlagen in „bröckeligen Staatsanleihen“

Die Zukunft sieht düster aus – doch der Ifo-Chef hatte auch Vorschläge parat: eine längere Lebensarbeitszeit, ein Punktesystem für eine geregelte Einwanderung und familienfördernde Regelungen à la Frankreich. Allerdings sieht Sinn in der Zuwanderung kein Allheilmittel, denn es wären bereits 2035 etwa 32 Millionen Einwanderer nötig, um den Altenquotienten (Verhältnis Rentenzahler zu Bezieher) auf dem heutigen Niveau zu halten. Und: Die Migranten müßten bereits alle gut ausgebildet sein. „Eine Million ist ein Tropfen auf den heißen Stein“, meinte er lakonisch. Real finde Einwanderung in den Sozialstaat statt – und in die Arbeitslosigkeit. Mehr Jobs gebe es nur bei fallenden Löhnen. Arbeitsministerin Andrea Nahles träume „von einer Lösung, die es gar nicht gibt.“

Sinn kritisierte auch die Rentenanlagen in „bröckeligen ausländischen Staatsanleihen“. Papiere, bei denen das Risiko allein der Steuerzahler trage, seien „das Unsicherste, was es gibt“. Daher – so Sinns vierte Empfehlung – sollten die Anlagevorschriften geändert werden: zugunsten von Aktien und Realkaptial. Auch an der „Riesterei“ konnte Sinn kaum Gutes finden. Er schlug hingegen eine zusätzliche Kinderrente vor: Jeder Berufstätige werde damit zum Sparen verpflichtet. Dieses Geld werde in Realkapital investiert. Wer Kinder bekommt, werde – je nach Familiengröße – vom Pflichtsparen befreit, angespartes Kapital freigegeben. Wer auf Kinder verzichtet, bekomme eine Rente aus dem Sparkapital. Eltern erhalten eine zusätzliche Kinderrente aus dem Umlagesystem – finanziert aus den Einzahlungen ihrer Kinder.

Idaf-Geschäftsführer Jürgen Liminski, der als Vater von zehn Kindern hinreichende Erfahrungen hat, fragte in der Diskussionsrunde, ob es – anspielend auf Herwig Birgs bevölkerungswissenschaftliche Prognosen aus den achtziger Jahren – nicht inzwischen „dreißig Jahre nach zwölf“ sei. Sinn konzedierte, daß Einsicht in der Politik erst zu erwarten sei, wenn das System kollabiere. Seine Versuche, die Politiker zu gewinnen, seien gescheitert: „Da reden Sie vor die Wand.“ Herwig Birg selbst meldete sich am Ende zu Wort und brachte anhand seines wissenschaftlichen Fachbereichs das hausgemachte Dilemma auf den Punkt: Die für ein Staatswesen grundlegende Bevölkerungswissenschaft habe nur drei Lehrstühle gehabt, 2004 sei auch seiner abgewickelt worden – statt dessen gebe es in Deutschland heute über einhundert „Gender“-Lehrstühle.

Institut für Demographie, Allgemeinwohl und Familie:

 www.i-daf.org