© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/15 / 02. Oktober 2015

Zeugnis der Reformation
Kunstgeschichte: Dem Renaissance-Maler Lucas Cranach dem Jüngerem zum 500. Geburtstag
Reinhold Böhnert

In der älteren deutschen Kunstgeschichtsschreibung kommt Lucas Cranach der Jüngere kaum vor. Und wenn, dann ist er immer nur der Sohn, der unbedeutende Nachfolger des hochberühmten Vaters. Diese Bewertung scheint aber nicht mehr zeitgemäß zu sein, wenigstens nicht in Sachsen-Anhalt und Thüringen – im „Cranach-Land“ könnte man sagen –, wo in diesem Jahr anläßlich des 500. Geburtstages von Cranach dem Jüngeren hochkarätige Ausstellungen an die Cranachs und ihre Zeit erinnern.

Im aufwendig restaurierten Wittenberger Augusteum, in dem 2017 die große nationale Reformationsausstellung stattfinden soll, wurde zum erstenmal der Versuch gewagt, den jüngeren Cranach als eigenständige Künstlerpersönlichkeit zu präsentieren. Die aus kunsthistorischer Sicht spektakuläre Ausstellung trägt den Titel „Entdeckung eines Meisters“ und ist bis zum 1. November geöffnet.

Ein Umstand wiegt bei dem jüngeren Cranach besonders schwer: Während der Vater vor seiner Berufung zum Hofmaler Friedrichs des Weisen nach Wittenberg im Jahr 1505 noch eine Gesellenwanderung unternahm – von 1500 bis 1504 war er in Wien tätig gewesen und hatte dort bemerkenswert originelle Bilder gemalt, die seinen Ruhm begründeten –, hat Sohn Lucas die väterliche Werkstatt nie verlassen. Er wurde am 4. Oktober 1515 geradezu in sie hineingeboren, durchlief dort eine Malerlehre und wurde allmählich von ihr vereinnahmt, ohne daß er sich in der Welt hätte umsehen, vielleicht nach Italien reisen können – wie sein etwas älterer Bruder Hans, von dem wir wissen, daß er 1537 in Bologna starb.

Auf der Seite der Reformation

Die 1505 gegründete Werkstatt Lucas Cranachs des Älteren, die zeitweilig aus bis zu zwanzig Lehrlingen, Gesellen und Hilfskräften bestand, hat man nicht zu Unrecht als eine Bildermanufaktur bezeichnet, welche, angefangen von Dekorationen, sei es für Hoffeste und dergleichen oder an Gebäuden, bis zum aufwendigen Flügelaltar alles lieferte, was nicht nur in Sachsen zu Beginn des 16. Jahrhunderts von einer Malerwerkstatt verlangt wurde. Sehr beliebt waren die mythologischen Darstellungen, die aus Wittenberg kamen, ebenso die Porträts Martin Luthers oder Philipp Melanchthons, die auch als Holzschnitte weite Verbreitung fanden.

Die Cranach-Werkstatt stand auf der Seite der Reformation, was auf eindrucksvolle Weise zwei große Flügelaltäre bezeugen. Der eine mit dem Abendmahl auf der Mitteltafel befindet sich in der Wittenberger Stadtkirche und wurde Ende der 1530er Jahre von Cranach dem Älteren begonnen. Die 1547 ausgeführten Flügel samt der Predella hat dann aber wohl Sohn Lucas angefertigt. Dargestellt sind dort Philipp Melanchthon bei der Taufe, Johann Bugenhagen bei der Abnahme der Beichte und Martin Luther predigend auf der Kanzel. Und der Mundschenk, der Jesus und die Jünger bedient, könnte ein Selbstbildnis Cranachs des Jüngeren sein.

Ein zweiter Christus attackiert den Teufel

Ein ähnlicher Altar, den man als eine Allegorie des protestantischen Glaubens verstehen darf, steht in der Weimarer Stadtkirche St. Peter und Paul, der sogenannten Herderkirche. Der Auftrag ging wohl 1552 an Cranach den Älteren, der jedoch schon 1553 starb. Ausgeführt hat ihn dann der Sohn, dessen Hauptwerk er wurde. Der Auftraggeber war Johann Friedrich von Sachsen, ein treuer Lutheraner, der nach seiner Niederlage im Schmalkaldischen Krieg gegen Karl V. die Kurwürde verloren hatte und seit 1552 in Weimar residierte. Mit diesem Flügelaltar wollte er wohl ein Zeichen setzen und ein Bekenntnis zum Protestantismus ablegen.

Auf den inneren Seitenflügeln sind, umgeben von Stoffbahnen aus Goldbrokat, Herzog Johann Friedrich mit Gemahlin Sibylle von Cleve und ihren drei Söhnen dargestellt. Das Hauptbild in der Mitte zeigt im Hintergrund Szenen aus dem Alten und dem Neuen Testament, die auf die Leidensgeschichte Christi hinweisen.

Im Vordergrund steht dann das Kreuz in einem ungewöhnlichen ikonographischen Kontext, nicht, wie üblich, flankiert von Johannes und Maria, sondern links von einem zweiten Christus, der den Tod und den Teufel mit einer Lanze attackiert, und rechts von Johannes dem Täufer sowie von zwei gerade verstorbenen Zeitgenossen: Martin Luther und Lucas Cranach dem Älteren. Luther hält eine aufgeschlagene Bibel. Cranach betet, blickt aber aus dem Bild heraus und wird dabei von einem Blutstrahl aus der Seitenwunde Christi getroffen, was bedeutet, daß auch er der Erlösung durch Christi Opfertod teilhaftig wird.

Während also der Landesherr und seine Familie ihren Platz auf den Seitenflügeln finden, darf der Hofmaler auf der Haupttafel gleichberechtigt mit Luther und sogar Johannes dem Täufer unter dem Kreuz stehen. Eine solche Nobilitierung eines Malers hatte es in der Kunstgeschichte bis dahin noch nicht gegeben, und man wüßte gern, wie es zu dieser Ikonographie gekommen ist.

Wie einige Forscher meinen, sei das Bildnis Cranachs erst nach dessen Tod eingefügt worden, was bedeuten würde, daß die rechte Mittelfigur ursprünglich eine andere Person darstellen sollte, vielleicht einen weiteren Reformator, Melanchthon etwa. Von dieser Planänderung muß der Auftraggeber unbedingt gewußt haben. Als Anreger kommt er aber wohl kaum in Frage, sondern eigentlich nur der ausführende Meister, nämlich Lucas Cranach der Jüngere, der seinen verstorbenen Vater auf diese ungewöhnliche Weise ehren wollte.

So gesehen, ist der Altar der Weimarer Stadtkirche nicht nur eines der letzten künstlerischen Zeugnisse der Reformation, sondern auch als ein Epitaph für den Hofmaler Lucas Cranach den Älteren, den letzten der großen deutschen Maler aus der Generation Dürers, Grünewalds und Holbeins des Jüngeren, gedacht.

Cranach der Jüngere war kein Hofmaler. Nachdem sein Vater Wittenberg verlassen hatte, um seinem vom Kaiser gefangengehaltenen Herrn Johann Friedrich in Augsburg, Innsbruck und dann auch in Weimar nahe zu sein, führte Sohn Lucas die Wittenberger Werkstatt, wo wohl auch der Weimarer Altar entstanden ist, bis zu seinem Tod weiter. Nebenher bekleidete er wie sein Vater immer wieder städtische Ämter, war seit 1549 Ratsherr, seit 1555 Kämmerer und wurde 1565 Bürgermeister.

Die Werkstatt leitete er wie ein Unternehmen

Die Werkstatt leitete er, auch darin seinem Vater gleich, wie ein Unternehmen. Jedes ihrer Erzeugnisse erhielt als Warenzeichen weiterhin die geflügelte Schlange, mit der Cranach der Ältere seit 1508, als ihm der Kurfürst gestattete, ein Wappen zu führen, seine Werke signierte.

Die Aufgaben waren noch immer vielfältig. Künstlerisch beachtliche Leistungen befinden sich unter den zahlreichen Bildnissen, bei denen der Meister oft selbst Hand angelegt hat, sicher auch bei demjenigen des brandenburgischen Kurfürsten Joachim II. von 1555 im Jagdschloß Grunewald. Zu diesem Porträt existierte bis 1945 in der Dresdener Gemäldegalerie eine vorzügliche Ölstudie auf Pappe mit dem Kopf des Monarchen, die wahrscheinlich während eines Besuchs des Künstlers in Berlin entstanden ist. An dieser Studie orientierten sich dann die Mitarbeiter in der Wittenberger Werkstatt, die das Gemälde praktisch ausführten. Auch wird der Meister dessen formale Grundstruktur durch mündliche Anweisungen vorgegeben haben. Alles andere war Handwerk. 

Ins Werk gesetzt wurde auf diese Weise das fast lebensgroße Porträt eines regierenden Herrschers, das seinesgleichen in der deutschen Kunstgeschichte sucht. Joachim II. ist – prunkvoll gekleidet, mit Goldschmuck bedeckt und auf Abstand bedacht – frontal ins Bild gestellt. Man denkt bei dieser Selbstinszenierung eines Renaissancefürsten an die Porträts von Tizian, Tintoretto und Holbein d. J., doch nicht mehr an diejenigen Cranachs des Älteren. Nach 1550 hatte im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation das Zeitalter des Manierismus und des Frühbarock begonnen. Künstlerisch ergiebig war es vor allem im Bildnis. Nicht zuletzt – was wir heute deutlicher erkennen – dank des Beitrags von Cranach dem Jüngeren.

Der Künstler starb am 25. Januar 1586. Er ruht mit seiner ersten und seiner zweiten Ehefrau in der Wittenberger Stadtkirche. Ein Marmorepitaph mit der Grablegung Christi von 1606 erinnert an ihn.