© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/15 / 09. Oktober 2015

Mit Zuckerbrot und Peitsche
Einwanderung: Um Asylbewerber unterbringen zu können, drohen Kommunen bereits mit Beschlagnahme und Entmietung
Ronald Gläser

Plötzlich sei die Dame im Auftrag des Jobcenters bei ihr gewesen. Marlies Raymund zittert noch immer, wenn sie diesen Termin schildert: Die Bezirksamtsmitarbeiterin hatte den Auftrag, sich ihre Wohnung anzusehen. Nach wenigen Minuten kam sie auf den Punkt: „Wir müssen mehr Flüchtlinge in Berlin unterbringen.“ Daher lautete ihr Vorschlag, Frau Raymund möge ausziehen und die Wohnung, in der sie seit 1980 lebt, freimachen. Marlies Raymund, schwerbehindert und arbeitslos, mußte sich setzen. „Ich soll aus meiner Wohnung raus?“ fragte sie zurück – ungläubig. Die Dame vom Amt nickte und ließ sich zunächst nicht erweichen. 

Das war im April. Marlies Raymund hat danach Erkundigungen eingeholt und sich für eine Auseinandersetzung gewappnet, falls das Jobcenter, das die Miete bezahlt, sie wirklich aus ihrer 50-Quadratmeter-Wohnung hinauswerfen will. Seitdem herrscht Funkstille. Raymund lebt in ständiger Angst, doch noch entmietet zu werden.

Wohnraum ist knapp und damit teurer geworden

Gespräche dieser Art laufen im ganzen Land. Wohnraum ist über Nacht knapper geworden als bisher, nachdem die Regierung die Schleusen für Armuts-einwanderer aus aller Welt geöffnet hat. Händeringend suchen die Kommunen nach Wohnungen – und schrecken dabei auch vor Entmietung und Beschlagnahme nicht zurück.

So hat die Stadt Nieheim in NRW einer 51jährigen wegen Eigenbedarfs gekündigt, um Asylbewerber unterbringen zu können. Weitere Fälle – darunter in Niederkassel und Lindlar (beide NRW) – wurden bekannt. Im baden-württembergischen Eschbach sah sich Mario Schlafke gezwungen, einer langjährigen, 56jährigen Mieterin in einer kommunalen Immobilie zu kündigen. „Der Wohnungsmarkt in Eschbach und Umgebung ist angespannt“, bedauerte der parteilose Bürgermeister gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. 

Für Vermieter hat der deutsche Staat hohe Hürden errichtet, die es ihnen nur dann ermöglichen, eine Eigenbedarfsklage durchzusetzen, wenn sie oder ihre Angehörigen in der freiwerdenden Wohnung einziehen. Und selbst dann ist nicht jede Klage erfolgreich. Für die kommunalen Eigentümer ist nach dieser Auslegung des Gesetzes die Eigenbedarfsklage daher von vornherein ausgeschlossen, da die Asylbewerber nicht ihre Verwandten sind. 

Zeitgleich rollt eine Enteignungswelle auf Hausbesitzer zu. Hamburg ist vorgeprescht und hat mit den Stimmen von SPD, Grünen und Linken ein Gesetz zur beschleunigten Beschlagnahme von Immobilien auf den Weg gebracht. „Eingriffe in verfassungsmäßig geschützte Rechte von Eigentum und Wohnung sind nicht hinnehmbar“, sagte die Hamburger FDP-Chefin Katja Suding, die eine Klage dagegen erwägt.

Jede Stadt, jede Gemeinde geht ihren eigenen Weg, um das Wohnraumangebot zwangsweise zu erhöhen. Viele setzen auf sogenannte Zweckentfremdungsverbote mit teilweise horrenden Bußgeldern. Freiburg etwa kann von Besitzern leerstehender Wohnungen bis 50.000 Euro verlangen. Dadurch sollen Immobilienbesitzer zum Vermieten gezwungen werden.

Begleitet werden solche Gesetze mit Kampagnen der Leitmedien gegen „raffgierige Vermieter“, die es wagen, Wohnraum zu Luxusmieten anzubieten. Die Kritiker übersehen absichtlich, daß es der Staat ist, der den Marktpreis in diese Höhe treibt. So zahlt das Land Berlin etwa 25 Euro pro Tag pro Flüchtling für dessen Unterbringung. Das macht im Falle dreier Syrer, die sich ein Ein-Zimmer-Apartment in der Hauptstadt teilen, schnell 2.300 Euro Monatsmiete. Die Berliner Erstaufnahmestelle Lageso gibt zudem Hotelgutscheine aus. Laut Süddeutscher Zeitung leben bereits 1.300 Personen in Hotels. Auch hier werden die Preise künstlich angehoben. Die Stadt Duisburg soll einem Vermieter den doppelten Mietpreis für zwanzig Jahre zugesichert haben, um ein Bürogebäude mieten zu können. Für Happurg bei Nürnberg zahlt das Landratsamt angeblich Mietpreise an der „oberen Grenze des Mietspiegels“ für ein paar Arbeiterheime eines stillgelegten Wasserwerks. 

Klagen gegen diese Politik könnten Erfolg haben

Und damit nicht genug: Auch Berlin denkt über Enteignungen nach Hamburger Muster nach. Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg, der gerade beim Versuch gescheitert ist, die besetzte Gerhart-Hauptmann-Schule räumen zu lassen, will Riemers Hofgarten, einen edlen Altbaukomplex, beschlagnahmen.

Weitere Kommunen könnten folgen. Tübingens Bürgermeister Boris Palmer ist sich sicher, daß er mit Beschlagnahmungen durchkommt: „Ein Rechtsstreit kann nur im nachhinein klären, ob der Schritt zulässig gewesen ist oder nicht. Aber die Unterbringung würde in jedem Fall gelingen“, sagte er der Welt.

Ob das juristisch wasserdicht ist, wird geklärt werden müssen. Gegen das Berliner Zweckentfremdungsverbot, das Ferienwohnungen verbietet, wollen Immobilienbesitzer in zwei Berliner Bezirken vor Gericht ziehen. Und auch das Hamburger Enteignungsgesetz wird auf Widerstand treffen. „Es wird mit Sicherheit Klagen von Betroffenen geben, die ihre Gewerbeimmobilie nicht einfach der Unterbringung von Migranten überlassen wollen“, sagte der Hamburger Juraprofessor Jörn Axel Kämmerer im NDR.

Foto: Hartz-IV-Empfängerin Raymund: Die Berlinerin solle ihre kleine Zwei-Zimmer-Wohnung räumen, empfahl ihr eine Vertreterin des Jobcenters