© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/15 / 09. Oktober 2015

Unterkünfte entwickeln sich zum Pulverfaß
Asylkrise: Die Politik reagiert alarmiert auf wachsende Spannungen und zunehmende Gewalt in den Aufnahmeeinrichtungen
Cornelius Persdorf

Es gibt keinen Grund, Gewalt anzuwenden. Man kann auch von Menschen, die wochenlang unterwegs waren, die Deutschland als ihr Ziel ausgeben, etwas Geduld erwarten.“ Ungewöhnlich heftig kritisierte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) vergangene Woche im ZDF die neuesten Vorfälle von Gewalt in Flüchtlingsheimen. 

Tatsächlich häufen sich die Anlässe: In Hamburg-Bergedorf kam es vergangene Woche zu einer Massenschlägerei zwischen hundert syrischen und afghanischen Asylsuchenden. 40 Polizisten beendeten den Streit. Es gab mehrere Verletzte. Ein ähnlicher Fall ereignete sich Ende September in Kassel-Calden: Ein Streit an der Essensausgabe führte zu einem blutigen Konflikt. Bilanz: Acht Heiminsassen und drei Polizisten wurden verletzt. Bei einer Polizeirazzia vergangene Woche wurden sechzehn Bewohner des Heims im thüringischen Suhl verhaftet, die an den massiven Ausschreitungen in der Unterkunft Mitte September beteiligt waren. Ihnen wird versuchter Totschlag, Sachbeschädigung und Landfriedensbruch vorgeworfen. Augenzeugen sprachen von „bürgerkriegsähnlichen Zuständen“ in und vor der ehemaligen NVA-Kaserne. Dabei waren fünfzehn Menschen verletzt worden. 

Die Häufung von Auseinandersetzungen zwischen gewaltbereiten männlichen Asylbewerbern hat die Politik alarmiert. Nach Ansicht von Experten ist dabei nicht allein die Überfüllung, räumliche Enge und der häufig zitierte Lagerkoller Ursache für die Gewaltausbrüche, sondern offensichtlich auch der fehlende Sinn für Recht und Ordnung. Zwar tritt der Lagerkoller offenbar tatsächlich besonders häufig in Kasernen, Flüchtlingslagern  und Notunterkünften auf. Schlechte Ernährung, Schlafmangel und fehlende Rückzugsräume bewirken eine unterschwellig wachsende Wut, die sich in der Regel plötzlich und anfallartig entlädt. Wirksame Gegenmaßnahmen sind verstärkte psychologische Betreuung und mehr Rückzugsraum.

Streit um Trennung der Religionen

Die Fälle Kassel und Suhl zeigen, daß religiöse Differenzen und Nationalitätenkonflikte die Spannungen noch verstärken. Nach einer Studie des amerikanischen Soziologen Zachary Neal treten Konflikte desto häufiger auf, je näher Personen unterschiedlicher Kulturkreise oder religiöser Auffassung zusammenrücken. Die Sozialpsychologie bringt dieses Phänomen auf die Faustformel „Andersartigkeit plus Nähe gleich Konflikt“. 

Auf dieses besondere Konfliktpotential machte auch der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, aufmerksam: Auf N24 bezeichnete er die Konflikte als „vorhersehbar, wenn man Kulturen unterschiedlicher Ethnien und religiöse Gemeinschaften auf so engem Raum zusammensperrt.“ Wendt empfiehlt die räumliche Trennung von Asylanten, die sich in Glauben und Staatsangehörigkeit unterscheiden. Für den stellvertretenden Vorsitzenden der Unionsfraktion im Bundestag, Hans-Peter Friedrich (CSU), ist die Trennung nach Religionen ein geeignetes Mittel, um nach Deutschland geflohene Christen zu schützen. „Christen sind die am stärksten verfolgte religiöse Minderheit weltweit“, sagte der ehemalige Bundesinnenminister der Welt. Wer als Christ vor radikalmoslemischen Terroristen fliehe, dürfe in den Flüchtlingsunterkünften nicht neuen Diskriminierungen und Schikanen ausgesetzt werden. 

Thüringen hat diese Trennung bereits in die Praxis umgesetzt: „Wir achten auf eine konfliktsensible Unterbringung und versuchen, Menschen aus unterschiedlichen Ländern auf verschiedene Stockwerke oder eigene Unterkünfte zu verteilen“, sagte Justiz- und Migrationsminister Dieter Lauinger (Grüne). Der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger (SPD) sieht dafür keine Notwendigkeit. „Auch unterschiedliche Religionen müssen friedlich zusammenleben. Das gilt für jeden, der bei und mit uns leben möchte“, sagte er dem WDR. „Gemessen an der großen Zahl der Flüchtlinge, die wir zur Zeit unterbringen, ist das, was da an Auseinandersetzungen stattfindet, relativ gering“, beschwichtigte Jäger.